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Neue Besen

Bei Brillen bleibt alles beim alten, bei Zähnen wurden die Kassen wieder stärker in die Pflicht genommen    ■ Von Matthias Fink

Nicht zuletzt wegen ihrer Gesundheitspolitik dürfte die alte Bundesregierung abgewählt worden sein. Entsprechend zeigte Rot-Grün in diesem Bereich schnellen Reformeifer. Ist jetzt alles wieder wie vor der CDU-Ära?

Was Brillen angeht, nicht. So gab es noch bis 1997 von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur Geld für die Gläser, sondern auch pro Brillengestell 20 Mark – vor der „Gesundheitsreform“ 1989 zahlten die Kassen noch mehr, und man durfte sich alle drei Jahre eine neue Brille anfertigen lassen. Jetzt ist die Kasse im Regelfall nur zuständig, wenn sich die Sehschärfe um mehr als 0,5 Dioptrien verändert hat. Diese Neudefinition „lief aber fast auf dasselbe raus“, urteilt Georg Mehrle vom Berufsverband der Augenärzte Deutschlands.

Für Gläser gibt es nur noch Festzuschüsse. Was darüber hinausgeht, zahlen die Kassen nicht. Entfielen vor zehn Jahren noch 40 Prozent des Umsatzes der Optiker auf Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, waren es im vorigen Jahr bundesweit knapp 19 Prozent.

Augenarzt Georg Mehrle findet, die Änderungen der alten Regierung hätten sich „im Grundsätzlichen nicht störend auf die Versorgung ausgewirkt“. Indessen wirbt die Firma Fielmann damit, gegen die Streichung der Gestell-Zuschüsse, „den Schritt zurück in die Klassengesellschaft“, gekämpft zu haben. Um die Grundversorgung sicherzustellen, habe sie ein spezielles Angebot, die Komplettpreisbrillen, eingeführt, die ohne Zuzahlung auf das Rezept zu kaufen sind.

Andere sparen, indem sie erst mal gar keine Brille kaufen: Der „Wiederbeschaffungsrhythmus“ ist länger geworden, berichtet Stefan Diepenbrock, Sprecher des Zentralverbands der deutschen Augenoptiker. Die Brille von Otto Normalverbraucher sei heute durchschnittlich 2,7 Jahre alt. Und man müsse wohl, „noch zwei Jahre draufrechnen, weil die Leute sich in der Erinnerung täuschen“. Das Allensbacher Institut für Demoskopie, das regelmäßig die Sehgewohnheiten der Bevölkerung ermittelt, fand heraus, daß schon 1996 – vor der Abschaffung des Gestellzuschusses – 71 Prozent der Befragten teilweise, 8 Prozent vollständig ihre Brille selbst bezahlt hatten. Nicht nur damit, sondern auch mit solider gewordenen Materialien dürfte auch der „Trend zu Wiederverglasung“ zusammenhängen: Nur noch 30 Prozent der Umsätze von Optikerbetrieben entfallen auf Fassungen.

Bei den Brillen hat Rot-Grün also nichts geändert. Schnell ging es dagegen beim Zahnersatz. Die wohl gravierendste Änderung: Ab 1979 Geborene kriegen jetzt doch wieder Zahnersatz von der Kasse bezahlt.

Diese Rückkehr zum alten Zustand sei „mit Sicherheit nicht notwendig“ gewesen, meint Stefan Tilgner, Fachreferent der Bundeszahnärztekammer. Die Zahngesundheit junger Menschen habe sich in den letzten Jahren stets verbessert. So sei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgegebene Ziel, im Jahr 2000 den DMFT-Wert – der die Zahl der kariösen Kindergebisse erfaßt – auf 2,0 zu senken, bereits heute überschritten: „Deutschland steht im Vergleich zu anderen Ländern sehr gut da.“

Die Vereinigung Demokratische Zahnmedizin (VDZM), ein alternativer Zusammenschluß von ZahnärztInnen und Praxisbeschäftigten, sieht dagegen keinen Anlaß, mit Verweis auf andere Länder die Finanzierung von Zahnersatz durch die Kassen in Frage zu stellen. In der Schweiz etwa seien Gruppenpräventionsverfahren, die der Schul-Zahnpflege großes Gewicht beimessen, seit Jahren flächendeckend vertreten. „Die sind schon am Ende der Möglichkeiten angekommen, was die Kariesprävention anbelangt“, so Jochen Brückmann, Pressereferent der VDZM. In Deutschland komme Gruppenprävention nicht über unverbindliche Ansätze heraus: „Die Zahnärzte wollen möglichst alles abrechenbar in die Praxis bekommen.“

Im letzten Jahr ging es ihnen indessen gar nicht gut. Weniger Patientinnen, weniger Zahnersatz, weniger aufwendige Materialien. Die Honorarumsatzzahlen für Zahnersatz im Bereich Nordrhein, einem der bevölkerungsreichsten, lagen im ersten Quartal 1997 noch bei 135 Millionen Mark, im erstenQuartal 1999 waren es noch 27 Millionen, berichtet Brückmann. Zwar seien gewiß viele zahnärztliche Leistungen „anbieterinduziert“, aber solch ein starker Rückgang treffe sicher auch „notwendigen Zahnersatz, der aus Angstgründen nicht angefertigt wird“.

Manche Frage, welche Behandlung nötig sei, wurde in den letzten Jahren vom Staat entschieden und Meinungsverschiedenheiten in der Zahnmedizin per Gesetz für irrelevant erklärt – soweit es sich um die Leistungspflicht der gesetzlichen Kassen handelt. So wurde im Zuge der Diskussion, ob Amalgamfüllungen schädlich sind, eine Neuregelung ins Sozialgesetzbuch eingefügt, die die Verwendung weniger umstrittener, aber teurerer Materialien eindämmen sollte: Seit November 1996 werden für Füllungen, die als kassenzahnärztliche Behandlung abgerechnet werden sollen, nur noch Amalgam und preiswerter Kunststoff zugelassen. Mehrkosten, etwa für technisch anspruchsvollere Kunststoffversorgunge, zahlen die PatientInnen selbst. Die Regelung ist weiterhin in Kraft, im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 könnte es Änderungen geben, die derzeit diskutiert werden. Jochen Brückmann von der VDZM erwartet etwa, daß für nachwachsende Jahrgänge der Einstieg in „moderne Kunststoffüllungen“ eröffnet wird, „die den Vergleich mit Amalgam langfristig aushalten“. Eine kompletter Austausch von Amalgamfüllungen bei der Gesamtbevölkerung auf Kosten der Krankenkasse sei indessen nicht finanzierbar, „da sind sich alle Beteiligten einig.“

Der Wiederbeschaffungsrhythmus für Brillen ist in den letzten Jahren länger gewordenDie Zahnärzte wollen möglichst alles abrechenbar in die Praxis bekommen

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