: Belgrad klagt die Nato an
Heute beginnt vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag der Prozeß wegen des Krieges gegen Jugoslawien ■ Von Christian Rath
Jugoslawien hat die USA, Deutschland und weitere acht Nato-Staaten vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag verklagt. Das Miloevic-Regime wirft den Nato-Staaten vor, einen Angriffskrieg zu führen und Völkermord an der jugoslawischen Bevölkerung zu begehen. Heute und morgen wird im Den Haager Friedenspalast darüber verhandelt.
Die am 29. April eingereichten Klagen richten sich gegen alle Nato-Staaten, die an den Angriffen beteiligt sind. Die Liste der serbischen Vorwürfe ist lang: Die Nato habe das völkerrechtliche Gewaltverbot verletzt, greife gezielt zivile Ziele an, benutze verbotene Waffen (uranhaltige Bomben) und verletze die jugoslawische Souveränität (indem sie die „terroristische UÇK“ im Kosovo unterstütze).
Der schwerste Vorwurf ist aber der des „Völkermords“. Er wird auf die Bombardierung von Ölraffinerien und Chemieanlagen sowie die Verwendung uranhaltiger Waffen gestützt. Damit werde die jugoslawische Bevölkerung „Lebensbedingungen ausgesetzt, die darauf abzielen, sie physisch ganz oder teilweise auszulöschen“.
Im Bonner Außenministerium hält man die Klage für einen „durchsichtigen Versuch des Belgrader Regimes, sich vom Täter zum Opfer zu machen“. Insbesondere der Vorwurf des Völkermords sei „absurd“. Er wird in Den Haag dennoch im Mittelpunkt der Verhandlung stehen. Denn es ist der einzige Klagepunkt, mit dem die Nato-Staaten auch gegen ihren Willen der IGH-Rechtsprechung unterworfen werden können.
Der Internationale Gerichtshof, das Gericht der UNO, hat nämlich keine automatische Zuständigkeit für völkerrechtliche Streitigkeiten. Deshalb hat er in seiner 53jährigen Geschichte auch erst 68 Urteile gesprochen. Recht sprechen kann der IGH nur mit Einverständnis der Beteiligten. Dies gilt etwa, wenn die Streitparteien gemeinsam Unterzeichner eines Vertrages sind, der die Zuständigkeit des IGHs vorsieht. Zu diesen Verträgen gehört die Völkermord-Konvention von 1948, nicht aber die UN-Charta.
Die Vorwürfe des Friedensbruchs und der Einmischung in innere Angelegenheiten können vom IGH daher nur überprüft werden, wenn die Streitparteien den Fall einvernehmlich vorlegen oder wenn sie sich generell der IGH-Rechtsprechung unterworfen haben. Von 185 UNO-Mitgliedern haben aber nur 62 Staaten eine allgemeine Unterwerfungserklärung abgegeben. Deutschland gehört nicht dazu. Und die USA hat ihre Erklärung Ende der 80er Jahre zurückgezogen.
Für die Bundesregierung liegt der Fall damit auf der Hand: „Der IGH ist für die jugoslawische Klage nicht zuständig.“ Daß die Nato keinen Völkermord betreibe, sei „evident“ und bedürfe keiner gerichtlichen Klärung. Ansonsten habe man dem IGH keine Kompetenz eingeräumt und gedenke dies auch im vorliegenden Fall nicht zu tun. „Damit würden wir Jugoslawien nur ein weiteres Forum für seine Propagandaschlacht bieten“, so das Außenministerium. Ähnlich werden auch die USA, Frankreich und Italien argumentieren. Die Nato-Staaten haben sich „eng abgestimmt“, hieß es in Bonn.
Allerdings sind die Ausgangspositionen unterschiedlich. Sechs der verklagten Nato-Staaten haben sich der IGH-Rechtsprechung grundsätzlich unterworfen. Aber vermutlich werden auch England, Belgien, Kanada, Portugal, Spanien und die Niederlande erklären, daß sie den IGH im vorliegenden Fall für unzuständig halten. Die meisten Unterwerfungserklärungen enthalten nämlich Schlupflöcher, durch die man sich bei Bedarf unliebsamen Prozessen entziehen kann. Jugoslawien zum Beispiel, das seine Erklärung erst mit der Klageschrift einreichte, verbittet sich eine Einmischung des IGH in innere Angelegenheiten.
Der Internationale Gerichtshof besteht regulär aus 15 von der UN-Vollversammlung gewählten Richtern. Vorsitzender ist der US-Amerikaner Stephen M. Schwebel. Auch Deutschland stellt mit Carl-August Fleischhauer einen Richter. Nach dem IGH-Statut können alle am Verfahren beteiligten Staaten einen Ad-hoc-Richter benennen. Die Verhandlung ist auf zwei Tage terminiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen