: Wie im „Dritten Reich“? Goldhagens Holocaust-Vergleich
■ In Potsdam diskutierten Intellektuelle mit dem umstrittenen Historiker über den Holocaust und den Kosovo-Krieg
Das Publikum wurde am Eingang von zwei schwitzenden Polizisten durchsucht, die Intellektuellen durften ungeprüft über eine Seitentür aufs Podium – eine gewagte Entscheidung. Denn ihre Diskussion auf dem Podium des Alten Rathauses in Potsdam war dermaßen „lebhaft“, daß man am Ende erleichtert sein durfte, bloß Zeuge verbaler Attacken geworden zu sein.
Das lag am Thema, der Kombination von „Kosovo“ und „Holocaust“. Und an den neuesten Thesen des prominentesten Gastes dieses Abends: Daniel Goldhagen, Politikdozent an der Harvard-Universität in den USA und Verfasser des Bestsellers „Hitlers willige Vollstrecker“, der in Deutschland vor zwei Jahren eine erneute heftige Diskussion über die Shoah und die Mitschuld vieler ganz normaler Deutscher auslöste.
Der smarte Jungwissenschaftler hatte vor einer Woche in der Süddeutschen Zeitung angesichts der Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg gefordert: „Wie bei Deutschland und Japan“ sei für Jugoslawien „die militärische Niederwerfung, Besetzung und Neugestaltung der politischen Institutionen eine moralische und praktische Notwendigkeit“.
Eine publizistische Bombe, sicherlich, und doch schien es anfangs etwas übertrieben, daß die Veranstalterin der Diskussionsrunde, Katrin Werlich von der örtlichen Vertretung der Heinrich-Böll-Stiftung, das Publikum mahnte, niemanden zu beleidigen, denn keiner der Diskutanten sei für den Krieg verantwortlich. „Nicht einmal das Wort Kosovo erwähnt!“ schrie sogleich ein Mann in Richtung Podium, das, neben Goldhagen, recht passend besetzt war: mit dem Berliner Faschismus-Experten Wolfgang Wippermann, dem Zeit-Redakteur Klaus Hartung, dem Historiker Hannes Heer, der die „Wehrmacht-Ausstellung“ konzipiert hat, und dem Wiener Publizisten Karl Pfeifer, dem früheren Chefredakteur einer Zeitung für die jüdischen Gemeinden in Österreich.
Andrei Markovits, Politologieprofessor in Kalifornien und derzeit Dozent am Wissenschaftskolleg zu Berlin, hatte die Moderatorenrolle, und der war er nur am Anfang gewachsen. „Holocaust, Völkermord und deutsche Verantwortung“ sollte das Thema sein. Offenbar um die sogleich spürbare Spannung aus dem Saal zu nehmen, fragte er zunächst ziemlich platt danach, was die Männer auf dem Podium am Buch Goldhagens – der hier nur „Dany“ genannt wurde – gut fänden.
Doch mit dieser Frage hielt sich niemand lange auf. Wippermann, als zweiter am Mikrofon, holzte mit Blick auf Goldhagens Kosovo-Thesen sofort los: Wer Jugoslawien und NS-Deutschland sowie Miloevic und Hitler gleichsetze, „der weiß nicht, was er sagt“. Goldhagen nahm den Ball zunächst nicht auf. Deshalb setzte Markovits nach und wollte wissen, was denn nun die richtige Lehre aus dem Weltkrieg sei: „Nie wieder Krieg“ oder „Nie wieder München“, also niemals mehr ein Einknicken der Demokratien vor einem Diktator wie 1938 vor Hitler, dem der Westen um des Friedens in Europa willen de facto eine Blankovollmacht für den Einmarsch in die Tschechoslowakei erteilte.
Außer einer Intervention in Jugoslawien habe es nach den gescheiterten Verhandlungen mit Miloevic im Rambouillet „keine vernünftige Position“ gegeben, legte Hartung los. „Unerträglich“ sei es, den „Genozid“ im Kosovo tatenlos mit anzusehen. Wippermann entgegnete: Die ethnischen Säuberungen seien die letzte Konsequenz der allzu frühen Anerkennung der ehemals jugoslawischen Teilrepubliken als eigene Staaten durch den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) Anfang der 90er Jahre. Mit dem Holocaust seien die Vertreibungen nicht zu vergleichen, denn der Massenmord an den Juden sei anders als im Kosovo keine Folge eines Bürgerkriegs, sondern „nur Mord“ gewesen. Hartung stichelte, diese Argumentation sei „selbstgerecht“. Im Saal wurde es laut.
Jetzt stieg Pfeifer richtig ein: Als jüdischer Flüchtling in der NS-Zeit, der „gut in Serbien aufgenommen“ worden sei, frage er sich, warum die Nato nicht eingegriffen habe, als 400 kurdische Dörfer von der Türkei dem Erdboden gleichgemacht wurden. Von ihm als Naziopfer hätten die deutschen Minister, die, wie etwa Fischer, mit Auschwitz das westliche Eingreifen auf dem Balkan rechtfertigen, „keine pouvoir“ – keine Legitimation.
Goldhagen blieb stets ruhig. Und wurde nicht unterbrochen. Vielleicht auch nur, weil sich die meisten konzentrieren mußten, sein Englisch zu verstehen. Man müsse das Geschehen im Kosovo und den Holocaust sogar vergleichen, denn die Lehre aus der Shoah sollte doch sein, daß es keine weiteren Massenmorde geben dürfe, „durch niemanden“.
Pfeifer erregte sich, das Bombardement der Belgrader Fernsehanstalt sei Mord gewesen: „It's murder, it's murder“, rutschte er ins Englische ab. Markovits hielt es nicht mehr in seiner Moderatorenrolle: Pfeifer äußere sich „bagatellisierend“ über das Morden im Kosovo, so Markovits. Heer betonte, es sei „Quatsch“, nicht im Kosovo zu intervenieren, nur weil man etwa beim Massenmord in Ruanda untätig gewesen sei. „Werde doch Soldat!“ schrie jemand aus dem Publikum.
Das Niveau der Diskussion sank immer mehr herab. Markovits wollte noch eine „letzte Frage“ stellen („dann muß ich heim“), aber niemand achtete mehr auf seine Fragen. Goldhagen sagte, was beim Massenmord in Srebrenica passiert sei, könne mit dem Vorgehen der „Einsatztruppen“ während des Rußlandfeldzugs vor mehr als 50 Jahren verglichen werden.
Als Hartung betonte, das Vorgehen der Türkei gegen die Kurden sei mit dem der Serben gegen die Kosovaren nicht zu vergleichen, da die Kurden von Ankara immerhin als Türken angesehen würden, maulte das Publikum: „Das ist doch Scheiße!“
Vor lauter Anspannung lachten viele Zuschauer leicht hysterisch, als Pfeifer sein Jackett auszog, Hartung Probleme mit dem Mikrofon hatte und Heers Sprudelwasserflasche überschäumte.
Goldhagen hatte das letzte Wort. Er warnte, man müsse sich fragen, was jetzt zu tun sei, um die Vertreibung im Kosovo zu beenden. Und wenn es auf dem Podium am Ende überhaupt einen Konsens gab, dann nur den: mit dem Vergleich von Holocaust und dem Morden auf dem Balkan vorsichtig zu sein. Philipp Gessler
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