: Drohendes Kasperletheater
■ „Gäste“: In der ehemaligen Kantine von Knorr-Bremse in Marzahn zeigt das Theater 89 das neue Stück von Oliver Bukowski
Oliver Bukowski hat ein neues Stück geschrieben. „Gäste“, im Februar in Braunschweig uraufgeführt, ist die erste Tragödie des 37jährigen Dramatikers. Tragisch, im antiken Sinne von unausweichlich, ist die Geschichte nicht unbedingt, traurig aber ist sie sicher. Wie die Dorfgemeinschaft in einem „durch Rezession verödeten Landstrich“ im Osten des Landes versucht, sich zu berappeln, und wie dies einfach nicht funktionieren will.
Kathrin und Erich haben aus einem Schweinestall ein Hotel gemacht, und jetzt wartet das ganze Dorf auf Gäste. Nach Wochen endlich kommt ein Gast, ein einzelner. Ein pensionierter Landvermesser, der bisher stets und überall in der Nähe des Klos plaziert wurde, jetzt und hier aber die ganze Palette unterwürfigster Bewirtung erfährt. Der Größenwahn läßt bei ihm nicht lange auf sich warten. Strafweise wird der Gast am Ende zwar mit der geistig zurückgebliebenen Dorfschönheit verlobt, da aber hat Erichs Devotheit schon seine eigene Ehe mit Kathrin zerstört, und diese, die alle Hoffnung fahren ließ, ist schwanger vom Gast und hängt sich auf.
Auch in der Tragödie bleibt Oliver Bukowski seiner ureigenen Form treu: der Groteske. Und wie üblich in einer Kunstmundart gehalten, ist auch der Crossover zum Volksstück und teilweise sogar zum Schwank garantiert. Eine komplexe Ästhetik, in der die traurige und lustige sowie in beiden Fällen anrührende Geschichte steckt.
Das Theater 89, als dessen Hausautor Bukowski trotz seiner zwischenzeitlichen Bemühung um ein Berliner Uraufführungstheater noch immer gelten kann, hat den stilistischen Spagat zur Chefsache erklärt. In der Inszenierung von Hans-Joachim Frank, die im März in Niedergörsdorf Premiere hatte und jetzt auch in Berlin gezeigt wird, hängt gleich neben dem Hotelschild „Zur Kathrin“ von Anfang an die Schlinge. Und so wird in dem kleinen Preßspanguckkasten von Anne-Kathrin Hendel auch gespielt. Mitten in der ehemaligen Kantine des Werkes Knorr-Bremse in Marzahn, ein riesiger Saal, wird drohendes Kasperletheater gegeben: drastisch verdeutlicht bis zur Karikatur und beständig auf das schlimme Ende hinweisend.
Es bleibt anrührend, wie die Dorfgemeinschaft sich in heller Aufruhr über den Gast wirft – weniger des Geldes als des schieren Wahrgenommenwerdens wegen. Es bleibt lustig, wie die Truppe von Peinlichkeit in Peinlichkeit taumelt. Aber diese ganze rotbakkige Typenkunde, die hier polternd aufgefahren wird, übertönt die Infamie des Stückes bei weitem. Petra Kohse
Wieder am 21., 22., 24. 5., 20 Uhr, Landsberger Allee 399, Marzahn, 282 46 56
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen