: Paris streitet – Korsika lacht
Aus einem Strohfeuer wurde eine Staatsaffäre. Der neueste Polizeiskandal, der den Präfekten der Insel sein Amt kostete, hat die Autorität des Staates untergraben und die zerstrittenen Nationalisten geeint ■ Aus Ponte Novu Dorothea Hahn
Hahahaha! Wie ein akustischer Blitz ist es um die Insel gehuscht. Jetzt steigt das Lachen über 1.000 Küstenkilometern auf. Es mischt sich in den Myrrheduft auf sanft ansteigenden Maquis-Wiesen. Es hallt durch enge Täler. Es poltert zwischen Felsen und Schneeresten auf windigen Höhen. „Hallo Wirt“, ruft der alte Mann in das Lokal, „bring den Feuerlöscher! Schnell! Da kommt ein Brandstifter!“ Die Umsitzenden greifen lachend zu ihren schmalen hohen Gläsern. Beim Zuprosten schwappt darin gelblicher Pastis.
Nur der Polizist von der CRS, der mit einer MP bewaffnet und mit einer kugelsicheren Weste bekleidet zwei Meter weiter Stellung bezieht, verzieht keine Miene. Über seine angestrengten Gesichtszüge perlt Schweiß. Den Blick heftet er an die fünfstöckige Mittelmeerfähre aus Marseille, die vor ihm schwerfällig in den Hafen von Bastia manövriert. Worüber sie lachen, hat er nicht verstanden.
Der Alte spricht korsisch. Der Polizist kommt vom Festland. Für ein paar Monate hat ihn die französische Spezialpolizei CRS auf diese Insel mit der Singsangsprache abkommandiert, um die Privatwohnung eines französischen Ministers zu bewachen. Jetzt steht er täglich vor dessen großen hölzernem Portal am Place St. Nicolas im Herzen von Bastia und muß vor allem darauf achten, sich nicht provozieren zu lassen. Denn seit der Nacht zum 24. April sind Polizisten auf Korsika zum Gespött geworden. Ganz egal welcher Einheit sie angehören.
In jener Samstagnacht zündeten Mitglieder der Elitetruppe der Gendarmerie „GPS“ das Strandrestaurant aus Holz und Stroh „Chez Francis“ an der Cala d'Orzu bei Ajaccio an. Am Tatort hinterließen sie unübersehbare Spuren: Ein Papier, auf dem der Lokalbetreiber als Polizeispitzel beschuldigt wird; eine Gesichtsmaske, ein Walkie-talkie, ein Feuerzeug und mehrere Benzinkanister.
Inzwischen haben sich die Ereignisse überstürzt.Die 95köpfige GPS, die erst im vergangenen Juni gegründet und mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet worden war, um der Insel Rechtsstaatlichkeit zu bringen, ist aufgelöst. Die Beteiligten der nächtlichen Aktion und der Chef der GPS sitzen im Gefängnis ebenso wie der höchste Pariser Repräsentant auf der Insel, Präfekt Bernard Bonnet, und sein Kabinettschef. In Paris haben der Innenminister, dem die Präfekten unterstehen, der Verteidigungsminister, dem die Gendarmen unterstehen, und der Premierminister, der Bonnet mit weitgehenden Vollmachten ausgestattet hat, erklärt, sie seien unschuldig an der Affäre, aber „schwer davon getroffen“. Auf Korsika haben alle Tatbeteiligten sowie der ehemalige präfektorale Kabinettschef, dessen Karriere im Geheimdienst begann, gestanden und Bonnet als Urheber der Aktion genannt.
Bloß der Präfekt bestreitet alles. Im Gefängnis trat er vorübergehend in den Hungerstreik. Nun muß er sich einem psychiatrischen Gutachten unterziehen – er, dem das „Who is who“ der französischen Verwaltung „Trombinoscope“ vor wenigen Wochen die Auszeichnung „französischer Spitzenbeamter des Jahres“ verlieh, weil er die Anzahl der Attentate auf der Insel von durchschnittlich rund 300 auf knapp 100 im vergangenen Jahr reduziert hatte.
Bei „Chez Francis“ an der Cala d'Orzu hallen an diesem Wochenende Hammerschläge über die Bucht. Von der ganzen Insel sind Unterstützer angereist, um Yves Ferrault beim Wiederaufbau seines Lokals zu helfen. Gut gelaunt hauen sie Holzlatten auf ein Gerüst, das dem abgefackelten Modell entspricht. In spätestens zwei Wochen wollen sie ein Strohdach darauf setzen. Schon Ende des Monats soll das Restaurant wieder in Betrieb gehen, auch dieses Mal wieder ein illegaler Bau auf öffentlichem Strandland.
Offiziell muß „Chez Francis“ am Ende der Sommersaison verschwinden, genau wie die rund 200 anderen illegal erbauten „Paillotes“ rund um die Insel. Expräfekt Bonnet, der hart gegen Vetternwirtschaft und andere Arten von Gesetzesbrüchen auf der Insel durchgriff, hatte sie alle zum Abriß aufgefordert. Anfang dieses Jahres mußte er den in einer mächtigen Lobby organisierten Restaurantbetreibern zähneknirschend eine Bewährungsfrist bis zum Saisonende einräumen. Es sollte der letzte Aufschub sein.
Der dickbäuchige Betreiber von „Chez Francis“, in dessen Lokal Inselgrößen von rechts und links und die Spitzen der nationalistischen Bewegung verkehren, ist optimistisch. Sein Lokal ist seit dem Strohfeuer in allen französischen Medien. In diesem Sommer kann er mit seiner Fischsuppe und seinen gegrillten Gambas garantiert ein Jahrhundertgeschäft machen. Mit einem breiten Grinsen erklärt er den aus Paris angereisten Journalisten, daß ihm erst ganz allmählich klar werde, in welche Gefahr ihn Bonnet gebracht habe. „Was einem Polizeispitzel droht“, sagt er, „das weiß auf Korsika jeder.“ Hahahaha!
In Ponte Novu, an der zerstörten Brücke im gebirgigen Zentrum der Insel, ist das Lachen am lautesten. „Die Gendarmen sind Stümper. Einfach bekloppt“, höhnt eine falsche Blondine, „selbst ich als Frau weiß, daß ein gefüllter Benzinkanister explodieren kann.“ Wie jedes Jahr am 8. Mai haben sich korsische Nationalisten und Autonomie-Befürworter versammelt, um den Jahrestag der letzten verlorenen Schlacht gegen Frankreich zu feiern. Nachdem ihr Held Pasquale Paoli und 12.000 weitere Korsen an dieser Stelle 30.000 französischen Soldaten unterlagen, fiel die kurzfristig unabhängige Insel 1769 an Frankreich. „Korsika hatte damals, 20 Jahre vor der französischen Revolution, eine demokratische Verfassung. Mit Stimmrecht für alle Familienvorstände“, schwärmt einer der historischen Gründer der Bewegung, „auch für die Frauen“. Eigentlich war Paolis Niederlage am 9. Mai, aber sie wird hartnäckig am Vortag begangen, wenn der Rest Frankreichs den Sieg über Hitlerdeutschland feiert.
An diesem 239. Jahrestag ist das enge Tal rund die Ruine des Ponte Novu so voll wie seit vielen Jahren nicht mehr. Mitglieder aller nationalistischen und autonomistischen Organisationen sind angereist. „Bonnet wollte uns spalten, uns gegeneinander aufhetzen“, sagt eine junge Frau, die einen vergoldeten bewaffneten Kämpfer als Halsschmuck trägt, „jetzt haben wir uns geeint.“ Seit Mitte der 90er Jahre haben sich die Nationalisten der verschiedenen korsischen Organisationen blutig gegenseitig bekämpft. Mindestens 20 Leute aus den eigenen Reihen sind dabei ums Leben gekommen, unter ihnen solche, die aus dem „bewaffneten Kampf“ aussteigen wollten, nachdem sie dessen „mafiose Entartung“ kritisiert hatten, sowie Kleinunternehmer, die sich geweigert hatten, das „revolutionäre Steuer“ genannte Erpressungsgeld zu bezahlen. Seither waren viele Bande zerbrochen – Freundschaften und sogar Familien. Es gab korsische Nationalisten, die kein Wort mehr miteinander sprachen und sich schon gar nicht an einen Tisch setzten. An diesem 8. Mai sind sie erstmals wieder vereint.
Während ein Priester vor der schwarzweißen korsischen Mohrenfahne eine „politische Lösung“ predigt, sitzen die Männer von den Spitzen der verfeindeten Gruppen dicht gedrängt im Hinterraum des Berggasthofs „U Pasquale Paoli“. Drei Stunden diskutieren sie über eine gemeinsame Protestdemonstration gegen den französischen Staat. Sie soll am kommenden Samstag in Corte stattfinden, der historischen Hauptstadt Korsikas im Herzen der Insel. 14 Organisationen rufen dazu auf. „Wir müssen den Krieg untereinander beenden“, sagt François Sargentini, dessen Bruder Noel 1995 von Nationalisten einer anderen Organisation erschossen wurde. An diesem Tag gibt der überlebende Sargentini seinen alten Feinden die Hand. Er nennt das eine „historische Chance“ und glaubt fest an eine bevorstehende Unabhängigkeit der Insel.
Die Morde der letzten Jahre seien „vorbei und vergessen“, dekretiert ein junger Bauerabeiter, der die Sprache der „Cuncolta“ spricht – der größten verbliebenen nationalistischen Organisation und der einzigen, die heute einen bewaffneten Flügel unterhält. Daß die „Front“ ihre Waffen abgibt, lehnt der Bauarbeiter, der seinen Namen nicht nennen will, ab. „Das wäre dumm“, sagt er feixend, „der französische Staat reagiert nur auf Gewalt.“
Versöhnen wollen sich an diesem Tag alle in dem Bergtal. Aber vergessen? „Ich habe Freunde verloren, das kann ich nicht vergessen“, sagt Simone Giovanni nachdenklich. Ihre Organisation ANC setzt längst nicht mehr auf bewaffneten Kampf und auch nicht auf Unabhängigkeit, sondern auf „Selbstverwaltung“. Dies sei der „Anfang von etwas Neuem“, sagt Max Simeoni, einer jener Männer, die in den 60er Jahren die Anfänge für die Autonomiebewegung machten, „aber wo das hinführt, ist noch unklar“.
„Bloß keine Unabhängigkeit“, seufzt Laetitia Sozzi, die dem Treffen in dem Bergtal seit vielen Jahren fernbleibt. Die junge Frau mit zwei kleinen Kindern, die selbst einmal für die Autonomie Korsikas kämpfte, will heute nichts von einem Zusammenschluß zwischen Autonomie-Kämpfern und Nationalisten hören. Sie ist überzeugt davon, daß sich dort die Logik der militärisch stärksten durchsetzen würde, der Cuncolta und ihrer „Front“. Bis 1993 gehörte auch ihr Mann, Robert Sozzi, dazu. Nachdem er deren Rechtslastigkeit und verbrecherische Finanzpraktiken öffentlich kritisiert hatte, wurde er auf offener Straße von seinen alten Freunden ermordet. „Diesen Faschisten wäre ein unabhängiges Korsika hoffnungslos ausgeliefert“, sagt seine Witwe bitter.
Hahahaha! Das laute Lachen übertönt den Motorlärm in dem Jachthafen von Toga im Norden von Korsika. „Was werden wir jetzt tun, wo Bonnet weg ist?“ brüllt ein in einen Neoprenanzug gewandeter Kerl auf einem Wassermotorrad. Sein Kumpel brüllt von einem anderen Wasserbock breitbeinig zurück: „Wir werden uns furchtbar langweilen.“
Hahahaha: „Was einem Polizeispitzel droht, weiß jeder“, erklärt der Betreiber des abgefackelten Restaurants
Hahahaha: „Ohne den Präfekten werden wir uns furchtbar langweilen“, brüllt der Kerl auf dem Wassermotorrad
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen