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Kinder mit verschrumpelten Gesichtern

■ Nord-Koreas Regierung gibt jetzt zu, daß es Hungertote gibt. WFP-Mitarbeiter schildert Not und dementiert Mißbrauch von Hilfe

Berlin (taz/AP) – Nord-Korea hat erstmals eingeräumt, daß im Zuge der schweren Hungerkatastrophe zahlreiche Menschen ums Leben gekommen sind. Der Regierungsvertreter Jon In Chan erklärte am Wochenende in der Stadt Komusan gegenüber Hilfsorganisationen, in den vergangenen drei Jahren sei die Zahl der Todesfälle im Land um 37 Prozent gestiegen. Das entspräche dem Hungertod von etwa 220.000 Menschen. Ein Vertreter des Welternährungsprogramms (WFP) sagte, die von Jon genannte Zahl werde von Experten überprüft. 1998 schätzten US-Kongreßabgeordnete, daß zwei Millionen Nordkoreaner verhungert seien. Nach südkoreanischen Geheimdienstinformationen sank die Zahl der Einwohner im Norden von 25 auf 22 Millionen. Jon sagte, diese Zahlen seien zu hoch. Ursachen der seit 1995 herrschenden Hungersnot sind Mißwirtschaft, Überschwemmungen und Dürre.

Der deutsche WFP-Mitarbeiter Thomas Hoerts unternahm kürzlich eine zweiwöchige Reise an die Ostküste, um die Verteilung von Hilfsgütern zu kontrollieren. Die taz dokumentiert Auszüge aus seinem Bericht:

1. Tag: Terassierte Reisfelder ziehen sich entlang der Landstraße, auf der kilometerweit keine Autos sind. Die meisten Felder wurden seit der letzten Ernte nicht gepflügt, weil Treibstoff und Ersatzteile für Traktoren fehlen. Hunderte Menschen stehen an der Straße und versuchen eine Mitfahrgelegenheit zu ergattern. Die meisten tragen Bündel, viele sind in einer Art Uniform gekleidet. Zwischen den Städten verkehren keine Busse mehr. Der gesamte Personentransport findet auch bei Minusgraden auf den Ladeflächen offener LKWs statt.

Im Landkreis Anbyon versorgen wir Krankenhäuser mit Mais, Linsen und Öl für sechs Monate. Zuerst checken wir die Bücher des Kreis-Warenlagers, wo Frauen alle Lebensmitel registrieren. Die Frau heute scheint nervös. Unsere Besuche beunruhigen viele Menschen, die nicht gewohnt sind, Ausländer zu sehen. Danach besuchen wir ein Krankenhaus. Der Lagerraum läßt sich wegen der vielen Säcke kaum öffnen. Wir schätzen die Menge auf 4 Tonnen Mais, 450 Kilogramm Linsen und 300 Kilogramm Öl, so viel, wie wir erwartet haben.

2. Tag: Wir brechen früh von Wonsan auf. Der Besuch im Krankenhaus schockiert. In einem Raum der Pädiatrie sind acht Kinder mit dünnem Haar, das kaum die schuppige Haut ihres Kopfes bedeckt. Ihre Körper scheinen die von halb so alten Kindern zu sein. Ihre Gesichter sehen alt und verschrumpelt aus. Eine Krankenschwester deutet auf drei Kinder: „Sie können sich nicht allein aufrecht setzen, sie sind zu schwach. Wenn man sie anstößt, würden sie umfallen und nicht wieder hochkommen.“ Das Krankenhaus bestätigt den Empfang von 183 Kilogramm Dosenfleisch und 500 Kilogramm Sojapulver, die schon aufgebraucht sind, 3,6 Tonnen Mais, 439 Kilogramm Linsen und 164 Kilogramm Öl. Aber damit kann man keine unterernährten Kinder aufpäppeln.

4. Tag: Im Kreiskrankenhaus sehen wir vier schwache Frauen, die in einem kalten Raum unter dünnen Decken sitzen. Die älteste ist 42 und wiegt 38 Kilogramm, zwei andere sind 31 und wiegen 40 und 36 Kilogramm. Die vierte ist 16 und 33 Kilogramm schwer.

7. Tag: In Saebol verhandele ich mit Beamten, daß wir mehr als ein Krankenhaus sehen wollen. Sie erlauben uns zwei zu besuchen. Die Zahlen in den Büchern entsprechen dem Verteilungsplan, die Lager enthalten die richtige Menge. Wir fahren vier Stunden, über 100 Kilometer, entlang des Grenzflusses Tumen zwischen Nord-Korea und China. Auf unserer Seite sind staubige Feldwege, vereinzelt rumpeln mit Maisstielenund Feuerholz beladene Ochsenkarren vorbei. Auf der chinesischen Seite sind geteerte Straßen mit Autos zu sehen. Etwa zeitgleich blickt ein britischer Journalist von der chinesischen Seite mit einem Fernglas über den Fluß. In seinem Bericht heißt es, die wenigen Lebenszeichen in Nord-Korea seien Ochsenkarren, die Hungertote eingesammelt hätten. Später erzählt er uns, seine Redakteure in London hätten seinen Bericht aufgeblasen. In Wirklichkeit habe er nie Karren mit Leichen gesehen, sondern dies seien nur Zitate von Flüchtlingen gewesen.

In seinem schockierenden Bericht heißt es auch, Hilfslieferungen würden für Armee und Partei abgezweigt. Aber auch das hat er nur gehört. In meinen elf Monaten in Nord-Korea habe ich nie gesehen, daß WFP-Hilfslieferungen zweckentfremdet wurden. Wir können nichts ausschließen, aber wir können nur beschreiben, was wir sehen.

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