Scharping spitzt Armeeberichte zu

Der Verteidigungsminister empört sich über den „alptraumhaften Zustand der humanitären Situation im Kosovo“. Die Berichte der Hardthöhe lesen sich nüchterner  ■   Von Bettina Gaus

Bonn (taz) – „Seit Januar 1999 wurden bestimmte Gebiete des Kosovo zu Manövergebieten erklärt, internationaler Kontrolle entzogen und eine ganze Reihe von Dörfern vollständig zerstört“, erklärte Verteidigungsminister Rudolf Scharping in einem Spiegel-Gespräch Ende April. Seinem Ministerium lagen über diesen Zeitraum ganz andere Erkenntnisse vor: „Die serbischen Sicherheitskräfte beschränken ihre Aktionen in jüngster Zeit auf Routineeinsätze“, teilte die Hardthöhe am 11. Februar in einem als vertraulich eingestuften Lagebericht an den Verteidigungsausschuß des Bundestages mit.

Scharping informiert derzeit fast täglich die Medien über die Lage im Kosovo, oft emotional und leidenschaftlich. Erheblich nüchterner lesen sich die vertraulichen Berichte, die von der Hardthöhe einmal wöchentlich unter dem Titel „Unterrichtung des Parlamentes“ an den Verteidigungsausschuß geschickt werden. Während Scharping die Aktivitäten der jugoslawischen Armee öffentlich fast ausschließlich in einen Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung im Kosovo stellt, werden in den Berichten seines Ministeriums zahlreiche Operationen der serbischen Streitkräfte als gegen die Widerstandsorganisation UÇK gerichtet bezeichnet.

So heißt es im Bericht vom 22. April mit Blick auf die Lage der Landstreitkräfte im Kosovo: „Die Landstreitkräfte führen weiterhin keine größeren beweglichen Operationen durch. Im Grenzgebiet zu Albanien mehren sich allerdings die Angriffe auf UÇK-Kämpfer und deren Versorgungswege.“ Aus Sicht der Hardthöhe erfolgte ein Teil der Operationen der jugoslawischen Streitkräfte als Reaktion auf Aktivitäten der UÇK. „Jugoslawische Grenztruppen bekämpften nahe Gorozup eine Nachschubkolonne bei dem Versuch, Waffen und Ausrüstung von Albanien in den Kosovo zu schmuggeln“, wurde am 18. März mitgeteilt. „Kräfte der UÇK provozierten mit einem Angriff auf die Polizeistation in Luzane den sofortigen Einsatz von Einheiten der VJ (Jugoslawische Volksarmee, d. Red.) in diesem Raum.“

Auf einer Pressekonferenz am 7. April zeigte Rudolf Scharping Bilder, die deutlich machen sollten, „wie die jugoslawische Armee im Kosovo vorgeht“. Panzer hätten ein Dorf in Brand geschossen, nachdem zuvor die erwachsene männliche Bevölkerung von Frauen, Kindern und älteren Menschen getrennt worden sei. Scharping sah darin einen Beleg für den „alptraumhaften Zustand der humanitären Lage im Kosovo“. Im Bericht des Verteidigungsministeriums an die Abgeordneten vom 1. April 1999 werden dagegen derartige Ereignisse als Teil bewaffneter Aktionen gegen die UÇK dargestellt: „Die serbisch-jugoslawischen Kräfte haben im gesamten Kosovo ihre Säuberungsaktionen gegen die UÇK fortgesetzt.“

Die Parlamentarier werden von der Hardthöhe auch über Menschenrechtsverletzungen informiert, die von der UçK begangen wurden, sowie darüber aufgeklärt, wenn sich Vorwürfe als unzutreffend erwiesen haben: „Die UÇK entführte in Velika Hoca zwei serbische Zivilisten. Nach eigenen Angaben wurde einer sofort erschossen. Der zweite Entführte wurde auf Vermittlung der OSZE freigelassen“, heißt es in dem Bericht vom 4. März. „In Pustenik wurden bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der UCK und Kräften der VJ festgestellt. Kosovo-albanische Behauptungen, es habe bei dem Gefecht ein Massaker an Kosovo-Albanern gegeben, erwiesen sich als nicht zutreffend.“

Eine Woche später teilte das Verteidigungsministerium den Abgeordneten mit: „Bei einem Anschlag der UÇK auf eine Polizeistreife wurde in Podujevo ein Polizist getötet. In Mijalic wurden drei Mitglieder einer serbischen Familie vermutlich von UÇK-Angehörigen entführt.“ Am 18. März war in der „Unterrichtung des Parlamentes“ zu lesen: „Im Dorf Mijalic entdeckten Kräfte der VJ in Häusern vermutlich von der UÇK vorbereitete Sprengfallen.“

Informationen, denen zufolge Angehörige ethnischer Minderheiten in Jugoslawien überproportional häufig im Kosovo eingesetzt werden, werden im Bundesverteidigungsministerium bezweifelt. Über die militärische Lage in der Vojvodina heißt es im Bericht der Hardthöhe vom 29. April: „Dort lebende Ungarn werden nach ihrem prozentualen Anteil an der Bevölkerung eingezogen. Reservisten aus der Provinz werden weitgehend auch dort eingesetzt. Der behauptete vorrangige Einsatz im Kosovo und eine besonders hohe Zahl von Einberufungen ethnischer Minderheiten können nicht bestätigt werden.“