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Nur ein Fünftel der Zuschauer kennt die Regeln

Berlin Thunder, dem neuen Footballteam der Stadt, fehlt zum Glücklichsein nur noch der sportliche Erfolg in der euopäischen „National Football League“. Langfristig ist Berlin allerdings ein Wachstumsmarkt des aus den USA finanzierten Sport-Imports  ■   Von Thomas Winkler

Noch macht Michael Lang keinen sonderlich nervösen Eindruck. Zwar ist sein Team mit vier Niederlagen in vier Spielen in seine erste Saison als Mitglied der NFL Europe gestartet, zwar beginnt die örtliche Boulevardpresse schon leicht hämisch zu werden, aber sein ehernes Lächeln, das scheint der General Manager von Berlin Thunder nie zu verlieren. „Es ist halt Sport“, sagt Lang.

Sicherlich. Es ist Sport, den der europäische Ableger der National Football League (NFL), der reichsten Profisportliga der Welt, bietet. Aber es ist auch mehr als das. Entscheidend beigetragen zum bisherigen Erfolg der NFL Europe hat das, was deren Chef Oliver Luck den „Entertainmentcharakter“ nennt und was sich im konkreten Berliner Fall um das Jahn-Stadion in Prenzlauer Berg als sogenannte „Power-Party“ ausbreitet: Bereits Stunden vor dem Spiel beginnt dort die Versöhnung von Hot dogs und Döner, Kultur und Kommerz, Sport und Sponsorship. Auf der Bühne spielen Livebands, auf dem elektrischen Bullen versuchen sich Zuschauer als Cowboys, und im aufgebauten Trainingsparcour testen sie ihr Talent zum Footballprofi.

Die echten Profis, bis auf einen kleinen Teil von der Liga verordneter sogenannter „Nationals“, die für Lokalkolorit und Identifikationspotential sorgen sollen, werden aus dem Heimatland des Sports importiert. Und in letzter Zeit des öfteren wieder expediert. Am letzten Dienstag, drei Tage nach dem frustrierenden 23:49 bei den Amsterdam Admirals, hat Thunder-Chefcoach Wes Chandler drei Spieler nach Hause in die USA geschickt. Schon in der Woche zuvor waren zwei Profis wegen ungenügender Leistungen entlassen worden. „Das Erschütternde für mich ist“, sagt Lang, der den Unglücklichen die schlechte Nachricht übermitteln mußte, „daß die Mannschaft eigentlich gut ist. Im Training läuft alles, aber wenn die Jungs die Gameday-Uniform anziehen, weiß ich nicht, was mit ihnen passiert.“

Jeder der sechs Klubs der NFL Europe hat prinzipiell dieselben Chancen, sich ein gutes Team zusammenzustellen. Ein Großteil der Spieler wird von ihren amerikanischen NFL-Teams für Europa freigestellt, um Spielpraxis zu sammeln, und von der Liga dann möglichst gerecht verteilt. Dieses System dient vor allem dazu, die Liga ausgeglichen und damit attraktiv zu halten. Das Ziel ist bei Thunder, die bisher mit durchschnittlich 23 Punkten verloren, nicht erreicht worden. Allerdings, merkt Lang an, ist der katastrophale Auftakt immer noch besser, „als wenn wir viermal gewonnen hätten, dann würden alle sagen, das ist doch getürkt“.

So hat man zwar den Betrugsvorwurf umgangen, aber dafür nun böse Sorgen, ob die Berliner ihr neues Team auch annehmen werden. Das zweite Heimspiel am Samstag um 19 Uhr gegen Amsterdam ist deshalb „der größte Prüfstein“, so Lang, in der noch jungen Klubhistorie: „Wir müssen den Zuschauern zeigen, daß wir nicht diese Gurkentruppe sind.“ Sonst könnte der avisierte Schnitt von 12.000 gar zu deutlich verfehlt werden und all die Arbeit womöglich umsonst gewesen sein.

Seit letzten August hat Lang oft sieben Tage die Woche um die 15 Stunden täglich gearbeitet, um aus dem Nichts einen Klub mit einem Etat zwischen fünf bis sechs Millionen aus dem Boden zu stampfen. Nun ist „Berlin Thunder Football Betriebs-GmbH“ am Büro in der Kantstraße zu lesen, und im Parterre verkauft der Fanshop die komplette Merchandising-Palette.

Da das Geld von der NFL kommt und die in längeren Zeiträumen plant, ist nicht davon auszugehen, daß die Liga den Wachstumsmarkt Berlin nach nur einem erfolglosen Jahr wieder verlassen würde. Zwar ist man auch in der Frankfurter NFL-Europe-Verwaltung „besorgt, wie schlecht die Mannschaft spielt“, so Managing Director Chris Heyne, aber „wir waren darauf vorbereitet, da kein ausverkauftes Haus zu haben“. Die knapp 10.000 Zuschauer im ersten Heimspiel waren zwar leicht enttäuschend, aber immer noch eine Verbesserung im Vergleich zur Londoner Franchise der Liga, die zugunsten von Thunder dicht gemacht wurde. Nach den ersten vier Spieltagen registriert man „ligaweit einen leichten Anstieg“ der Zuschauerzahlen. Perspektivisch wird in Berlin eine Entwicklung angestrebt wie beim Klassenprimus in Frankfurt, wo zu Galaxy-Spielen regelmäßig über 30.000 ins Waldstadion kommen und den maroden Fußball-Bundesligist Eintracht Frankfurt zur Nummer zwei in der Bankerstadt degradiert haben.

So kopierte man in Berlin ein Erfolgsrezept aus Frankfurt, wo der ehemalige Fußballprofi Manfred Burgsmüller als Kicker engagiert wurde, und verpflichtete in Berlin den Ex-Hertha-Spieler Axel Kruse für dieselbe Aufgabe. Der nahm seinen eigentlichen Job als personifizierte Promotion-Maschine bisher überaus erfolgreich wahr, aber noch ist man weit entfernt davon, sich an hessischen Verhältnissen messen zu wollen. Zwar gab es in Berlin schon zwei Thunder-Fanklubs, bevor das Team überhaupt einen Namen hatte, aber die Stadt ist im Fußballfieber und sowieso „ein schwerer Markt“, wie Lang festgestellt hat: „Es ist eine Stadt, die auf Erfolg achtet, und momentan sind wir ja nicht die erfolgreichste Mannschaft in der Stadt.“

Trotzdem ist die hierzulande im Profisport übliche Hektik bisher ausgeblieben. Die Presse versucht zwar aus dem Mißerfolg ihre üblichen Geschichtchen zu stricken und fragt in tausendmal geübter Rhetorik besorgt nach der Zukunft des Trainers der „Schießbude“ (Berliner Kurier), aber Chandler steht nicht zur Disposition. Zwar findet es auch Lang nicht toll, regelmäßig „auf die Mütze zu kriegen“, aber für den Erfolg des Produkts Football in Berlin ist vornehmlich entscheidend, daß „die Party schön“ wird. Den Anteil an echten Footballfans, die tatsächlich kapieren, was auf dem Spielfeld abläuft, beziffert er auf 2.000, also ein Fünftel des bisherigen Zuschauerschnitts. Für den Rest muß man „kommunizieren, was da passiert“, bis auch der Durchschnittszuschauer dem Spiel folgen kann. Zwar hat man ungefähr eine halbe Million in Werbung investiert und eine gut funktionierende Partnerschaft mit Radio Energy begonnen; aber vor allem über die ganz altmodische Mundpropaganda, so hofft man, möge sich dann in der ganzen Stadt die gute Nachricht vom spektakulären Gesamterlebnis Berlin Thunder verbreiten. „Wir werden“, so Chris Heyne von der NFL, „Thunder nicht nach einem Jahr in der Versenkung verschwinden lassen, auch wenn die zehnmal mit 30 Punkten verlieren.“

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