: Stolpe klagt für Ost-Hausbesitzer
■ Verfassungsklage Brandenburgs rollt Häuserkauf nach der Wende wieder auf. Durften Ostdeutsche ihr Heim kaufen, oder haben westdeutsche Alteigentümer den Vorrang?
Karlsruhe (taz) – Fast zehn Jahre nach der deutschen Einheit mußte das Bundesverfassungericht am Dienstag noch einmal tief in die komplizierten Verhältnisse der ostdeutschen Wendezeit einsteigen. Anlaß für die Verhandlung in Karlsruhe war eine 1994 eingereichte Klage des Landes Brandenburg.
Das Land rügte, daß der 1990 ermöglichte Verkauf von Wohnhäusern an die dort wohnenden Ost-Mieter auf Geheiß des Westens „willkürlich“ gestoppt worden sei. Dieser Vorgang belaste die „innere Einigung Deutschlands“ bis heute, klagte Brandenburgs Justizminister Hans Otto Bräutigam (SPD) vor dem Verfassungsgericht.
Der Streit ist nur verständlich, wenn man sich das Szenario der Wendezeit vergegenwärtigt. Im Osten gab es kaum Eigentum an Wohnhäusern, gleichzeitig waren die Mieter fast so gut geschützt wie Eigentümer. Als sich die Wende zur Marktwirtschaft abzeichnete, wollten daher viele DDR-Mieter ihr Häuschen erwerben, um weiter in „ihren eigenen vier Wänden“ leben zu können. Ein Gesetz der Regierung von Hans Modrow (SED-PDS) ermöglichte dies im März 1990. Auch die erste frei gewählte Regierung unter Lothar de Maizière (CDU) stand voll hinter diesem Gesetz. Rund 300.000 Kaufverträge wurden in den folgenden Monaten abgeschlossen.
In Westdeutschland sah man diesen Vorgang allerdings mit Unbehagen. Denn nicht wenige der „volkseigenen“ Häuschen gehörten einst Menschen, die aus der DDR geflüchtet oder legal ausgereist waren und nun als westdeutsche „Alteigentümer“ auf Rückgabe drängten. Mit dem Modrow-Gesetz und der nachfolgenden Verkaufswelle sahen sie sich faktisch vor vollendete Tatsachen gestellt.
Kurz vor der Wiedervereinigung beschloß aber die DDR- Volkskammer das sogenannte Vermögensgesetz, in dem zwar der „redliche“ Eigentumserwerb aus DDR-Zeiten anerkannt wurde – aber nur bis zum Stichtag 18. 10. 1989, dem Rücktritt von Erich Honecker als Staatschef. Die auf das Modrow-Gesetz gestützten Verkaufsverträge waren plötzlich wertlos – jedenfalls wenn es einen Alteigentümer gab. „Da wußte die Volkskammer selbst nicht, was sie beschlossen hatte“, kritisierte Minister Bräutigam bei der Anhörung der Klage. Er äußerte in Karlsruhe den Verdacht, daß die Stichtagsregelung auf Betreiben westdeutscher Stellen in das Gesetz eingefügt wurde.
Versuche einiger Ost-Länder, das Vermögensgesetz in diesem Punkt wieder zu ändern, scheiterten 1992 an der christlich-liberalen Mehrheit im Bundestag. Das war der Anlaß für das Land Brandenburg, 1994 Verfassungklage einzureichen, auch Sachsen-Anhalt unterstützt die Position. Der Vorwurf der Kläger: Mit der Stichtagsregelung sei in willkürlicher Weise rückwirkend in Rechtspositionen der verhinderten Ost-Hauskäufer eingegriffen worden. Eine solche „rückwirkende Gesetzgebung“ verstoße aber gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. Die Bundesregierung bestritt dagegen, daß im Jahr 1990 überhaupt Vertrauensschutz entstehen konnte. Schon seit Dezember 1989 sei nämlich mit der DDR über „offene Vermögensfragen“ verhandelt worden.
In den letzten Jahren wurde vielen Betroffenen allerdings ein Weg geebnet, doch noch ihr Häuschen zu erwerben. Im 1994 beschlossenen „Sachenrechts-Bereinigungsgesetz“ wurde nach langen Auseinandersetzungen eine Klausel eingefügt, die den kaufwilligen Mietern den Eigentumserwerb zum halben Verkehrswert ermöglichte. Brandenburg ist damit allerdings nicht zufrieden, denn in der Wendezeit waren die Häuser viel billiger. „Gerade die kleinen Leute gehen jetzt leer aus“, klagte Brandenburgs Minister Bräutigam.
Für die neue rot-grüne Bundesregierung forderte Justizstaatssekretär Eckhart Pick (SPD) die Länder auf, sich mit dem 1994 gefundenen Kompromiß zufriedenzugeben. „Als Opposition waren wir mit der Regelung auch nicht zufrieden“, so Staatssekretär Pick, „verfassungswidrig ist sie aber sicher nicht.“ Das Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet. Christian Rath
Brandenburgs Justizminister Bräutigam: Der rückgängig gemachte Häuserkauf belastet die innere Einigung Deutschlands bis heute
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