Ketchup in Revolverhaltern

■ Und immer siegt die Liebe: Tilman Gerschs und Niclas Ramdors romantische Splatteroper „Der Vampyr“ in der Neuköllner Oper

Vampire kommen nie aus der Mode. Im Kino schon gar nicht, da steht in einigen Wochen eine neuerliche Variante bevor, diesmal von John Carpenter. Und sogar auf der Bühne behaupten sich die Beißer. Roman Polanskis Musical-Version des „Tanz der Vampire“ hat es sogar in die CD-Verkaufscharts geschafft. Ein bißchen von dessen Musikbombast und sanfter Ironie hat nun auch Tilman Gerschs (Regie) und Niclas Ramdors (Musik) „Der Vampyr“ an der Neuköllner Oper.

Ihr Stück basiert auf einem uralten Libretto von Wilhelm August Wohlbrück aus dem Jahre 1828, das sie entstaubt und aktualisiert haben (weshalb nun auch mal ein Handy oder ein Partygrill in ihren Weg in die Dialoge gefunden haben). Die Story: Zwei Hochzeiten, blutjunge Jungfrauen, diverse Blutsauger, Vampirjäger und die am Ende über alles siegende, wahre Liebe – sie ist nicht sonderlich atemberaubend, eigentlich auch nicht gruselig und verdient auf alle Fälle das Attribut romantisch.

Das wirklich Aufregende an dieser Uraufführung ist die Musik von Niclas Rahmdor. Gemeinsam mit Hans-Peter Kirchberg sitzt er, glatzköpfig, mit Sonnenbrille und weißem Rollkragenpulli, hinter einem Drahtverschlag an elektronischen Tastengeräten, und gemeinsam schmeißen sie damit allein das ganze musikalische Programm. Und da wird nichts ausgelassen: schmachtende Opernhymnen, Ohrwürmer, als wollten sie das „Phantom der Oper“ übertrumpfen. Dance-Floor-Beats wechseln mit einer Rap-Einlage, es klimpert smarter Barjazz, und dann wird es wieder minimalistisch wie bei Philipp Glass. Selbst Brian Eno und Jean-Michel Jarre lassen grüßen.

Was wie ein wildes Durcheinander und gewollt postmoderne Mixtur klingt, hört sich tatsächlich berauschend und vor allem schlüssig an. Und wo man in der ersten Hälfte bei der Regie sich noch mehr ironische Schlenker, ausgelassene Albernheiten und weniger ernsthafte Oper gewünscht hätte, kommt nach der Pause alles ins Lot. Die Vampire, so lernen wir, verstauen ihre Ketchup-Flasche (Theaterblut eben!) in Revolverhalftern, Ungebissene und betrogene Ehemänner tragen lange Unterhosen und Hochzeitsgäste dicke Pelzmützen. Kurzum: So mancher schaut in Susanne Schwieters originellen Kostümen etwas bescheuert aus.

Die Geschichte und das Libretto samt all ihrer Tragik werden zwar ernst genommen, aber nur so weit, daß der Gesang nicht automatisch mit veralbert wird. Den Rest zur endgültigen Begeisterung des Publikums besorgen die Präsenz und Spielfreude des kompletten Ensembles. Eine Splatteroper wie angekündigt ist es nicht wirklich geworden. Es fließt zwar Blut, es schlürft und saugt allenthalben, aber es bleibt alles im Rahmen. Die Musik aber, die macht einen tatsächlich besoffen.

Axel Schock ‚/B‘ Nächste Vorstellungen: 20. – 23., 27. – 29. Mai, jeweils um 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131 – 133