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Die unergründliche Philosophie des Bodens

Biologisch-dynamischer Landbau gilt weithin noch immer als eine Errungenschaft der Ökobewegung – dabei ist er viel älter: Seit nunmehr 75 Jahren geht es nicht nur um das Weglassen, sondern mehr noch um das Hinzufügen bestimmter Stoffe  ■ Von Katharina Körting

Öko, bio, umweltgerecht – unklare, aber seit Jahren sehr in Mode gekommene Definitionen. Der Begriffsverwirrung folgte unweigerlich der massenhafte Mißbrauch und erst danach ein behördliches Regularium: 1991 legte eine EU-Verordnung fest, welche Kriterien für die Verwendung werbewirksamer Zusätze wie „biologisch“ und „ökologisch“ auf Lebensmittelpackungen zu erfüllen sind. Der Verzicht auf synthetischen Dünger, chemische Pflanzenschutzmittel, genverändertes Saatgut und Massentierhaltung gehören dazu. Die leidliche Klarheit ist auch der kritischen Aufmerksamkeit der VerbraucherInnen zu danken.

Was sie allerdings erwerben, wenn sie „biologisch-dynamisch“ einkaufen, wissen selbst langjährige Bioladen-Stammkunden in der Regel nicht. Dabei ist diese Wirtschaftsweise die älteste unter den organischen Landbaumethoden. Rudolf Steiner hat die zugrundeliegende Lehre 1924 in seinem „Landwirtschaftlichen Kurs“ niedergeschrieben, zu Pfingsten vor genau 75 Jahren. 1927 wurde für Produkte aus biologisch-dynamischem Anbau der Name Demeter (das ist die griechische Göttin der Fruchtbarkeit) gefunden. Das dazugehörige Warenzeichen – pünktlich zum Jubiläum neu gestaltet – klebt mittlerweile auf über 3.000 Produkten, von Kindernahrung und Backwaren über Getränke und Wurst bis zu Konserven, Kosmetik und Blumen.

Die Erfüllung der EU-Kriterien ist für biologisch-dynamische Erzeugnisse nur eine von mehreren Voraussetzungen. „Nicht nur die Technik – die Philosophie, die dahintersteht, ist eine andere“, sagt Renée Herrnkind, Sprecherin des Demeter-Bundes in Darmstadt. Bei der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise würden, im Unterschied zum sonstigen ökologischen Landbau, nicht nur giftige und schädliche Stoffe weggelassen, sondern darüber hinaus auch bestimmte Präparate hinzugefügt. Erst damit ist die Voraussetzung für das Demeter-Siegel erreicht.

3.500 Betriebe in 35 Ländern mit insgesamt mehr als einer Million Hektar Fläche arbeiten nach biodynamischen Grundsätzen, 1.500 davon (mit 45.000 Hektar) in Deutschland. Einer davon ist der Gärtnerhof Staudenmüller in der Nähe des brandenburgischen Templin. Ortrun Staude bewirtschaftet zusammen mit ihrem Mann Martin Müller und zehn wechselnden Mitarbeitern den 20 Hektar großen Hof: Äpfel, Birnen, Kartoffeln, Rhabarber, Möhren natürlich, Beerenobst und Salate werden angebaut. Vier Pferde und vier Kühe gibt es auch. Mit den Pferden wird geackert, nicht ausschließlich, aber sooft wie möglich. Die Vieh- und Felderwirtschaft nicht zu trennen ist ein weiterer biodynamischer Grundsatz.

Doch das erste, was die Gärtnerin zeigt, um zu erläutern, was „biodynamisch“ heißt, ist ihr Komposthaufen. Sie wühlt und fühlt und riecht an den verrottenden Pflanzen und Exkrementen, freut sich über einen geringelten rosafarbenen Wurm im Mist. Neben dem großen Gewächshaus ist der Kompost in zwei länglichen Haufen aufgeschichtet. Ein Kompost – und folglich auch der mit ihm gedüngte Boden – ist nur dann biologisch-dynamisch, wenn ihm sechs Präparate hinzugefügt werden, erklärt Staude. Eines davon ist die Schafgarbe. Die im Frühjahr geerntete Pflanze wird in die Blase eines frisch erlegten Rothirsches gefüllt, die dann den Sommer über in der Sonne hängt und im Winter in der Erde vergraben wird. Nach einem Jahr kann das Präparat in den Kompost eingebuddelt werden. „Die Schafgarbe ist klar gegliedert und wohlgeordnet“, erklärt Ortrun Müller das Unerklärliche, „sie kann ihre Kraft an die Erde weitergeben.“ Das gleiche sollen Kamille-, Brennessel-, Eichenrinden-, Löwenzahn- und Baldrianpräparate tun, in Rinderdärmen oder –schädeln versenkt und zu bestimmten Zeiten dem Kompost zugesetzt. Auf die reifende Kultur der Felder werden als „Spritzpräparate“ außerdem zermahlenes Kuhhorn und Kiesel gegeben.

Eine „Medizin des Ackers“ oder bäuerliche Quacksalberei? Das Institut für Biologisch-Dynamische Forschung in Darmstadt versucht diesem Rätsel mit wissenschaftlichen Methoden beizukommen und testete zum Beispiel auf verschiedenen Böden, mit und ohne die Zugabe des Schafgarbenpräparats, den Kaliumentzug von Radis-Knollen. Im Arbeitsbericht 1998 des Instituts ist als Ergebnis zu lesen, das Präparat habe tatsächlich, je nach Nährstoffgehalt des Bodens, einen „normalisierenden Effekt“ auf dessen Kaliumhaushalt.

Ortrun Staude ist auch ohne solche Untersuchungen von ihrer Methode überzeugt. Sie hegt und pflegt die Pflanzen ohnedies nicht nur um ihrer selbst willen, sondern betrachtet sie vielmehr als aufbauende Kräfte für das geistige Wachstum von Mensch und Natur: „Die Kraft der Kuh ist verdichtet im Kuhhorn, das Licht im Quarzkristall des Hornkiesels.“ Die Energie dieser „Bildekräfte“ werde beispielsweise in der Möhre gespeichert und ergebe eine andere Nahrungsqualität. Kosmische Kräfte kämen über Pflanzen zu ihrer Entfaltung.

Was sich für wohlwollende Beobachter wie eine Naturreligion anhört und von Skeptikern als abergläubischer Mumpitz abgetan wird, ist für die anthroposophische Gärtnerin ganz selbstverständlich. In ihrem Versuch einer Beschreibung der biodynamischen Wirtschaftsweise versteigen sich Anthroposophen fast unweigerlich in leicht verquaste Konstrukte und weichen konkreten Fragen aus. Auch in Steiners „Geisteswissenschaftlichen Angaben zum Gedeihen der Landwirtschaft“, sagt der Medienbeauftragte der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, Martin Barkhoff, gebe es keine Handlungsanweisungen, nur Hinweise: „Das geht tatsächlich in den Bereich des Unerklärlichen.“ Es scheint fast, als handele es sich um eine Art Geheimlehre, deren Bedeutung erst nach Versenkung in Steiners sonstige Schriften begreifbar ist – oder auch nicht. Das Prinzip erinnert an die Homöopathie, wo geringste Mengen ihre Kräfte abgeben und wirken sollen. Und wie in der Homöopathie ist es letztlich egal, ob der Konsument daran glaubt oder nicht – solange das Mittel wirkt und die Möhre schmeckt.

Steiner wollte die Erde pflegen und heilen – gegen den Trend der Industrialisierung und Chemisierung der Landwirtschaft, die im 19. Jahrhundert begonnen hatten. Die Fruchtbarkeit des Bodens müsse erhöht werden, statt nur die Pflanzen zu düngen. Er ging davon aus, daß nicht nur einzelne Lebewesen, sondern auch jeder landwirtschaftliche Betrieb einen individuellen Organismus mit einer jeweils eigenen schöpferischen „Begabung“ darstellt, die es hervorzubringen und zu entfalten gelte. Dieses Hervorbringen gelingt nach Steiner nur, wenn man die Verschiedenheit von Klima, Boden und Menschen auf jedem Hof berücksichtigt.

„Steiner hat keine Rezepte gegeben“, betont Ortrun Staude, „er hat Angaben gemacht, und alle probieren aus.“ Wahrscheinlich habe er gerade „dieses lebendige Dranbleiben“ gewollt. Sie will das aber auf keinen Fall so verstanden wissen, daß der Philosoph vielleicht gar keine Ahnung von Landwirtschaft hatte und es einfach nicht genauer wußte.

Auch der Einfluß von Planeten auf das Wachstum in der Erde wurde von Steiner hervorgehoben – und auch hier sagte er nicht, was das in der Praxis heißen könnte. Die Demeter-Sprecherin Renée Herrnkind weicht bei Fragen nach der Einbeziehung interstellarer Konstellationen lieber auf Schlagworte aus: Es komme darauf an, kosmische Rhythmen zu beachten und den Betrieb als lebendigen Kreislauf zu begreifen, führt sie vage aus.

Konkreter ist da der – nicht nur in biodynamischen Kreisen verbreitete und unter Anthroposophen recht umstrittene – astrologischen Aussaatkalender von Maria Thun. Er schreibt beispielsweise vor, zu welcher Mondphase welche Pflanze in den Boden einzubringen ist. „Bei Maria Thun funktioniert das“, sagt Ortrun Staude, „aber das kann ich nicht auf meinen Hof übertragen, wenn ich es mir nicht selber erarbeite. Das ist kein Dogma.“ Ortrun Staude geht es bei ihrer Arbeit vor allem darum, ein persönliches Verhältnis zu haben zu dem, was sie tut. „Ich will mich den Pflanzen hingeben“, sagt sie.

Diese Hingabe ist noch arbeitsintensiver und zeitaufwendiger als die „normale“ Bio-Landwirtschaft und sicher kein Weg zum großen Reichtum. „Wir kommen nur durch große Bescheidenheit über die Runden“, sagt die Mutter von vier Kindern. Die Konkurrenz sei größer geworden, „viele geben ihre Ökosalate zu Dumpingpreisen ab“. Aber Ortrun Staude vertraut auf ihren christlich-anthroposophischen Gott. „Sorget nicht für den morgigen Tag“, zitiert die Gärtnerin aus der Bergpredigt.

Das Prinzip ist ähnlich dem der Homöopathie. Und genau wie dort ist es letztlich egal, ob der Konsument daran glaubt

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