: Ein Masterplan für die Autolobby
■ Planwerk zur künftigen Gestaltung der Innenstadt soll heute im Senat verabschiedet werden. 23.000 Wohnungen, aber auch neue Straßen sind geplant. Bausenator Klemann hat sich gegen Strieders „urbanes Leitbild“ durchgesetzt
Berlin bleibt auch in Zukunft eine verkehrsgerechte Stadt. Nach der Überarbeitung des „Planwerks Innenstadt“, das gestern gemeinsam von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) und Bausenator Jürgen Klemann (CDU) vorgestellt worden ist, haben die Automobilisten weiter freie Fahrt. Die großen Verkehrsschneisen bleiben im Innenstadtkonzept im wesentlichen erhalten. Zugleich ist geplant, neue Straßen anzulegen. Damit hat sich Klemann gegen den Stadtentwicklungssenator und dessen „Leitbild von der urbanen Stadt“ ohne Durchgangsverkehr, mit dem Strieder und seine Masterplaner 1997 angetreten waren, durchgesetzt.
Das Planwerk, das heute im Senat verabschiedet werden soll, sieht die zukünftige Gestaltung der Innenstadt bis 2015 vor. Insgesamt sollen 23.000 zusätzliche Wohnungen und große Gewerbeeinrichtungen auf freien Grundstücken der City Ost und West gebaut werden. Zwar sind nun, im Unterschied zur früheren Fassung des Planwerks, im Ostteil der Stadt weniger Flächen zur Bebauung vorgeschlagen – so Teile der Fischerinsel, der Karl-Marx-Allee, der Leipziger Straße oder am Fernsehturm. Dafür sind neue Häuser auf dem Friedrichswerder, am Spittelmarkt, dem Schloßplatz oder am Zoologischen Garten anvisiert (siehe taz von gestern).
Bausenator Klemann, bisher Gegner der Masterplanung, frohlockte gestern bei der Präsentation: Bei den Gesprächen zum Innenstadtkonzept sei deshalb Einigung erzielt worden, weil dem „Planwerk die mobilitätsfeindlichen Giftzähne gezogen wurden“. Seine Verwaltung trage die Leitvorstellungen zur Stadtreparatur aus dem Hause Strieder, weil die „verkehrlichen Funktionen“ nicht beeinträchtigt würden.
So bestehe „Konsens darüber“, daß die Leipziger Straße nicht mit Häusern zurückgebaut, sondern in ihrem jetztigen Querschitt erhalten werde. Lediglich die Verminderung der Trasse auf vier Autospuren und zwei Parkstreifen sei angedacht. Neben der nordseitigen Begrünung der Trasse „ist zusätzlich eine Trambahn ab 2000/2001 geplant“, so Klemann.
Klar sei auch, daß die Französische Straße bis zum Tiergarten verlängert werden müsse. Durchsetzen konnte sich Klemann auch bei der Freihaltung des Molkenmarktes vor dem Stadthaus und bei der Verlängerung der Rathausstraße bis zum Alexanderplatz und der Axel-Springer-Straße zum Spittelmarkt. Auch die geplante Gertraudenbrücke wird breiter als in Strieders früherer Planung. Weiter in der Planung besteht auch der Durchbruch der Friedrichstraße am Mehringplatz. Dagegen sollen die Autotunnel am Breitscheid- und Alexanderplatz zugeschüttet werden, um den „Verkehr auf das normale Straßenniveau“ zu heben.
Während Klemann den Bau der Straßenbahn und den Durchbruch der Französischen Straße „als vorrangige Projekte“ bezeichnete, bemühte sich Strieder um Schadensbegrenzung. Nach seiner Ansicht ist das „Hauptziel des Planwerks“, eine „lebenswerte und urbane Innenstadt zu schaffen“, erhalten geblieben. Der Masterplan führe die geteilten Stadthälften wieder zusammen. Insbesondere die Belebung des Spittelmarkts und des Rauthausbereichs sowie die Schaffung des zentralen Grünraums am Marx-Engels-Forum seinen positive Ergebnisse. Für die Finanzierung des Megaprojekts müssen nun private Investoren gefunden werden.
Auf Ablehnung stößt das neue Planwerk nicht nur bei der baupolitischen Sprecherin der Bündnisgrünen, Ida Schillen, weil „rund 90 Kilometer zusätzliche Straßen“ gebaut würden. Kritik äußerte auch Thomas Flierl, Baustadtrat in Mitte. Sowohl der Bezirk als auch der Autor des Planwerks, Dieter Hoffmann-Axthelm, seien vom Gespann Strieder/Klemann übergangen worden. Statt dessen sei die „Autolobby“ bedient worden. Außerdem sei klar, daß an dem Bau „der exklusiven Eigentumswohnungen“ die private „Baulobby“ verdiene.
Auch die PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Pau nannte das Planwerk einen „Kniefall vor der Bau- und Autolobby“. Die Verdichtung gehe auf Kosten vorhandener Grünzüge und zu Lasten der Lebensqualität.
Rolf Lautenschläger
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