: Die Angst strahlt noch bis heute
Mit Röntgenkanonen soll die Stasi Regimegegner verstrahlt haben. Nach dem Krebstod von Jürgen Fuchs hat ein Mitstreiter Strafanzeige wegen Mordes gestellt ■ Von Heike Haarhoff
Berlin (taz) – Die Erinnerung läßt sich nicht austricksen. Unvermittelt tauchen die Bilder auf, die Einzelhaftzellen, die Räume, in denen „die Schweine uns verhört und fotografiert haben“. Die Bilder sind klar und ebenso angstbesetzt wie vor 16 Jahren, als der Maler Frank Rub aus Jena knappe zwei Monate im Stasi-Untersuchungsgefängnis im thüringischen Gera inhaftiert war. Wegen Bildern, so der damalige Vorwurf der DDR-Staatsanwaltschaft, die er gemalt und „zur Verunglimpfung der DDR“ genutzt haben soll. „Und wenn man vor Ort ist“, sagt der heute 47jährige, „tritt die Geschichte mit der Haft schwerwiegend vor Augen.“
Vergangene Woche erst war Rub zuletzt in Gera – um sich „noch einmal ganz genau“ den Ort „unserer Drangsalierung“ anzusehen. Auf dem Ort lastet seit neuem ein schwerer Verdacht: Im erkennungsdienstlichen Raum, in dem die Gefangenen nach ihrer Einlieferung und während der Haft oft mehrfach fotografiert wurden, soll hinter einem Vorhang versteckt ein Röntgenapparat gestanden haben. Der mögliche Zweck: Dissidenten wie Rub ohne ihr Wissen zu verstrahlen.
„Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, daß die Schweine mich bestrahlt haben und ich irgendwann davon krank werde“, sagt Rub. „Aber für mich ist klar“, vor lauter Erregung ist seine Stimme am Telefon nur noch schwer zu verstehen, „sie haben diese Methode angewendet, um Leute wie uns zum Schweigen zu bringen.“
Am Wochenende wurde in Berlin Rubs Freund, der DDR-Regimegegner und Schriftsteller Jürgen Fuchs, beigesetzt. Er hatte an einem seltenen Knochenmarktumor gelitten. An Krebs sind zuvor auch die DDR-Oppositionellen Rudolf Bahro und Gerulf Pannach gestorben. Hat die Röntgenkanone ihre Krankheit verursacht?
„Jürgen hatte sowas vermutet, aber es ließ sich nicht verifizieren.“ Wegen „Mordes“ an seinem Freund, „ausgeführt durch Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit“, hat Rub deswegen am 11. Mai, zwei Tage nach Fuchs' Tod, Anzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft erstattet. „Denn gegen den Tod ist man ohnmächtig“, sagt er, „nicht aber, gegen das Unrecht anzugehen.“
Den Verdacht zu erhärten dürfte schwierig werden. Nach Auskunft der Berliner Gauckbehörde ist zwar „seit Jahren hinreichend belegt, daß es einen Röntgenapparat in Gera gab“. Ob der aber gezielt zur Körperverletzung eingesetzt wurde, hat die auf SED-Unrecht spezialisierte Staatsanwaltschaft in Erfurt bislang nicht ermitteln können. Seit 1997 sei „ein entsprechendes Verfahren anhängig“. Und: Weder Bahro noch Pannach noch Fuchs haben in Gera eingesessen. Vielmehr waren sie in Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. „Daß es in anderen Stasi-Gefängnissen Strahlenkanonen gab, darüber wissen wir nichts“, sagen übereinstimmend die Gauckbehörde wie die Leitung der heutigen Gedenkstätte Hohenschönhausen. Wie auch? Viele Stasiknäste standen nach der Wende jahrelang leer oder wurden, wie Hohenschönhausen, übergangsweise als Tierheim genutzt.
Mangelnde Beweise hin oder her – die Angst bleibt, und Frank Rub hat Gründe dafür. Denn „im Mai 1990“, schreibt er in seiner Strafanzeige, „fand eine Führung durch die U-Haftanstalt Hohenschönhausen statt“. Bei dieser Gelegenheit habe Lilo Fuchs, die Frau von Jürgen Fuchs, „im Raum des Fotografen hinter dem Vorhang ein Fachbuch über Bestrahlung“ entdeckt. Vor dem Vorhang habe der Stuhl des zu fotografierenden Häftlings gestanden.
„Man muß diese Indizien ernst nehmen, aber deswegen nicht in Panik verfallen“, warnt der Berliner ARD-Journalist Roland Jahn. Als DDR-Oppositioneller saß er Anfang der 80er Jahre ebenfalls in Gera im Knast. „Mindestens dreimal wurde ich fotografiert“, erinnert er sich, „aber wenn du nach einem halben Jahr Einzelhaft auf diesem Stuhl saßest, warst du froh, ihnen dein trotziges Gesicht zeigen zu können.“ Heute sagt er: „Natürlich ist man erschrocken über jedes neue Detail.“ Dennoch haben weder Jahn noch Rub sich bislang gezielt auf Strahlenschäden untersuchen lassen. „Die Stasi“, sagt Jahn, „bestimmt ganz sicher nicht meine Ängste.“
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