: Das Ende einer Kopftuchkarriere
■ Die Islamisten sind elektrisiert, die Laizisten unter Schock: Der Streit um das Kopftuch der Abgeordneten Merve Kavakci überlagert in der Türkei alle politischen Debatten
Istanbul (taz) – Wenn in dieser Woche das türkische Parlament zum dritten Mal nach den Wahlen zusammentritt, steht zuerst einmal wieder die Beschäftigung mit hauseigenen Problemen auf dem Programm. Bevor über die Bildung einer neuen Regierung diskutiert wird, müssen die Parlamentarier entscheiden, ob ihre Kollegin Merve Kavakci Mitglied des Hohen Hauses bleiben darf.
Am Montag war die Entscheidung der kommissarischen Regierung Ecevit, der Abgeordneten der islamischen Fazilet-Partei die türkische Staatsbürgerschaft abzuerkennen, im Amtsblatt veröffentlicht worden. Jetzt muß das Parlament entscheiden, ob sie damit auch ihren Sitz in der gesetzgebenden Versammlung verliert. Der Streit um Merve Kavakci, die erst 31 Jahre alte, neu gewählte Abgeordnete, hat sämtliche politischen Debatten im Land in den vergangenen beiden Wochen überlagert.
Zum ersten Mal in der Geschichte der türkischen Republik hatte eine Frau es gewagt, zum Ausdruck ihrer religösen Haltung mit einem Kopftuch bekleidet das Parlament zu betreten. Die konstituierende Sitzung des Parlaments am 2. Mai wurde daraufhin unterbrochen und Merve Kavaci daran gehindert, ihren Eid auf die Verfassung abzulegen.
Daß der Streit um ihr Kopftuch nun voraussichtlich damit enden wird, daß sie ihren Sitz im Parlament und ihre türkische Staatsangehörigkeit noch dazu verliert, hängt mit formalen Fehlern zusammen, die sie gemacht hat. Merve Kavakci hatte neben der türkischen die US-Staatsbürgerschaft. Das allein hätte man ihr nicht zum Vorwurf machen können, allerdings hat sie die amerikanische Staatsbürgerschaft erst wenige Wochen vor der Wahl angenommen, nachdem sie sich als Kandidatin für die Parlamentswahlen hatte aufstellen lassen. In diesem Fall hätte sie die Wahlkommission davon unterrichten müssen.
Außer diesem Formfehler war – offenbar über amerikanische Geheimdienstquellen – noch bekanntgeworden, daß Merve Kavakci während ihres Studiums in den USA bei mehreren Veranstaltungen radikal-islamischer Vereine als Rednerin aufgetreten war und die laizistische türkische Republik dort massiv angegriffen hatte. Aus diesem Grund hat die Staatsanwaltschaft bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Der Auftritt „Merves“ im Parlament (hier wird sie nur noch mit ihrem Vornamen genannt) hatte das islamische Lager geradezu elektrisiert und den Laizisten einen Schock versetzt. In verschiedenen Städten kam es zu Demonstrationen pro und contra „Merve“, die teilweise in heftige Schlägereien mit der Polizei ausarteten. Als in Teheran Frauen für Merve Kavakci demonstrierten, drohte gar ein diplomatischer Eklat zwischen beiden Nachbarländern.
Die türkische Regierung und das Militär mutmaßen sowieso, daß die ganze „Aktion Merve“ von außen gesteuert ist. Staatspräsident Demirel, dem wohl schon Informationen des Geheimdienstes vorlagen, hatte Merve Kavakci gleich nach ihrem Parlamentsauftritt als „Agent provocateur“ denunziert. Der Iran, die libanesische Hisbullah oder die palästinensische Hamas sollen die eigentlichen Hintermänner „Merves“ sein. Tatsächlich zeigt die ganze Angelegenheit, wie tief die Türkei über die islamische Frage zerstritten ist und wie wenig konstruktive Lösungsansätze vorhanden sind. Jürgen Gottschlich
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