: Erneuerung von unten
Bier, Bücher, belegte Brötchen: Im Campus-Café nurfürgäste treffen sich Kreative aller Sparten und feiern Klangabende, Tanzstunden und Literatur ■ Von Ulrike Bals
Die Augen tanzen grün unter den buschigen Brauen. Sie sind hungrig nach Taten, wie der gespannte Körper. Das und die sprühende Begeisterung spürt man zuerst, wenn man mit Alexander Posch spricht. In wenigen Zügen leert er sein Glas und kommt direkt zur Sache. Der 31jährige Ex-LAOLA-Club-Betreiber und Liv-UllmannShow-Akteur hat auch keine Zeit zu verlieren: Er veröffentlichte gerade Schlucker 2000, ein Buch mit 36 Schriftsteller-Portraits der Hamburger Literaturszene, ist vor kurzem Vater geworden und jetzt auch noch Veranstalter des neuen Subkultur-Cafés nurfürgäste auf dem Campus.
Das unkonventionelle Veranstaltungsprogramm nach dem Motto „Zwischen Bier, Bifi und belegten Brötchen“ wird den akademischen Kulturbetrieb kräftig aufmischen: Dreimal wöchentlich ist für abwechslungsreiche Unterhaltung gesorgt. „Offene Klang Abende“ nennt sich eine Hörspielreihe. Eine „Tanzstunde im Erfrischungsraum“ können die Gäste sich mittwochs erwürfeln – die sechs bedeutet freier Eintritt – und sich in das akustische DJ-Schlachtfeld mit TripHop, Soul und Calypso stürzen. Und donnerstags mixen Autoren wie Mariola Brillowska oder Tina Uebel in „Literatur plus“ ihre skurrilen Texte mit schrägen Performances, Musikeinlagen und obskuren Filmchen.
Schon lange hatte die Universität neidisch auf die rege besuchten Literatursessions in Alexander Poschs LAOLA-Club geschielt. Was gab es dort, was sie nicht hatten? Die Lesungen an der Universität schrumpften mehr und mehr zu elitären Fachseminaren zusammen, während der subversive Kulturclub in den Räumen der katholischen Hochschulgemeinde stets ausverkauft war. Auf der Suche nach dem verlorenen Zeitgeist wurde vor zwei Jahren der Campus-Kultur Verein gegründet. 1998 stößt Alexander Posch dazu, und es ensteht das Konzept eines Treffpunktes für Kreative aller Sparten. Statt zeitlich begrenzter Kulturarbeit wechselnder Studentenvertretungen soll ein fester Veranstaltungsort etabliert werden.
Doch die Erneuerung von unten beginnt zunächst mit einer langwierigen Planungsphase. Neben den inhaltlichen Aspekten gilt es auch die äußeren Räumlichkeiten zu schaffen. Fast ein Jahr dauert der Umbau. „Das lag auch an der bürokratischen Struktur der Universität“, so Posch. Er selbst hätte sich auch weiterhin in der alten Cafeteria mit dem fiesen braungrünen 70er-Charme wohlgefühlt. „Ich mag sowas“, lacht er und trauert noch immer der alten Pächterin Katharina Wronski nach. Die mittlerweile über neunzigjährige Grande Dame des Campus war eben ein Original: „Einfach Kult, mit der Krächzstimme und ihrer schroffen Art.“
Der Präsident der Uni und Schirmherr des Projektes, Jürgen Lüthje, wünschte sich jedoch ein repräsentativeres Umfeld für die neuen literarischen Zeiten. Und so wurde Mitte letzten Monats ein lichtes, freundliches Kultur-Café eingeweiht, nach Entwürfen des Nachwuchs-Architekten Kai Cassuben. Das Farbkonzept in Bordeauxrot und abgetöntem Gelb schafft Behaglichkeit. An die Wiener Kaffeehaus-Kultur der 20er erinnert das schlichte, hölzerne Mobiliar – gewiß kein Zufall. So ist der anspruchsvoll gestaltete Raum Symbol einer literarischen Gegenwart, deren junge Exponenten in der Lage sind, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
coté obscure no. 2 , Lesung mit Mariola Brillowska, Dierk Hagedorn, Folko Hülsebusch, Gordon Roesnik, Michael Weins und Tina Uebel, heute, 20 Uhr. Frau Tod. Sylvia Plath nackt auf dem Rücken , Literaturperformance: Fr, 4. und Di, 8. Juni, jeweils 20 Uhr . Der Mann mit der Kamera , Film und Musik: Mi, 9. Juni, 20 Uhr. Alexander Posch , Lesung: Di, 22. Juni, 20 Uhr. DJette LuziFurr , TripHop, Blue Note Beats, Super-8-Pornos, 30. Juni, 20 Uhr, nurfürgäste, Von-Melle-Park 8. Weitere Infos unter % 45 03 91 28
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen