: Die Volksuni macht vorübergehend dicht
■ Schuld sind politische Resignation langjähriger AktivistInnen, Generationskonflikte, sinkende Besucherzahlen und parallel stattfindende Großevents. Nur bei entsprechender Resonanz soll es nächstes Jahr weitergehen
Für manche war sie schon fast zu einer Institution geworden – die Volksuni. Neunzehnmal debattierten Intellektuelle mit GewerkschaftlerInnen und politischen AktivistInnen über Pfingsten drei Tage lang über linke Wirtschaftstheorien, pluralistische Marxismusmodelle oder den aktuellen Stand der feministischen und antirassistischen Forschung. Ausgerechnet das zwanzigste Jubiläum fällt aus. „Eine Volksuni zu Pfingsten wie gewohnt wird es in diesem Jahr nicht geben“, heißt es lapidar in einem Faltblatt.
Die Krise der Linken nach 1989 und der Niedergang der sozialen Bewegungen sind auch an der Volksuni nicht spurlos vorübergegangen. Die Zahl der BesucherInnen war rückläufig, so daß der Verein im letzten Jahr auf Schulden sitzengeblieben ist. Auch der Kreis der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen hat sich in den letzten Jahren verkleinert. Langjährige AktivistInnen zogen sich aus beruflichen Gründen oder aus politischer Resignation zurück. Zu ihnen gehören mit dem Philosophieprofessor Wolfgang Fritz Haug und der Hamburger Soziologieprofessorin Frigga Haug die MitbegründerInnen und langjährigen MentorInnen der Pfingstuni. „Die persönlichen und zeitmäßigen Unkosten waren mir zu hoch“, begründet Wolfgang Fritz Haug seinen Rückzug. Für Andreas Gniewoß vom Verein Volksuni e. V. handelt es sich um einen Generationskonflikt: „Die Haug-Schüler haben sich gegen ihre Lehrer aufgelehnt und durchgesetzt“, meint er. „Das von Haug dominierte Kernressort Politik wurde zurückgestuft, und die Vereinsstrukturen wurden auf basisdemokratische Grundlagen gestellt.“ Für den Einbruch bei den BesucherInnenzahlen macht Gniewoß neben parallel laufenden Großevents wie dem Karneval der Kulturen auch interne Gründe verantwortlich. „Der Brückenschlag zur jüngeren Politikgeneration und zur parteiungebundenen Linken der ehemaligen DDR ist uns kaum gelungen.“
Doch an ein Ende der Volksuni denkt unter den AktivstInnen niemand. „Wenn es auch die sozialen Bewegungen nicht mehr gibt, so sind doch ihre ehemaligen Aktivisten noch vorhanden. Die müssen wir mit unseren Angeboten erreichen“, meint der langjährige Volksuni-Geschäftsführer Thomas Faust. Michael Jäger, Redakteur der Wochenzeitung Freitag und jahrelanger externer Volksuni-Berater, sieht nach dem Regierungswechsel eine neue Rolle. „Jahrelang haben wir Politikvorschläge für eine rot-grüne Reformmehrheit debattiert. Nach den Erfahrungen mit der neuen Regierung müßte die Volksuni theoretische Hilfestellung für die Reformulierung einer linken Opposition gegen Rot-Grün anbieten.“
Die Vorbereitungen laufen schon auf Hochtouren. Auf monatlichen Jour-fixe-Veranstaltungen wird eine Volksuni-Werkstatt für kommenden Herbst vorbereitet. Oppositionelle Gruppen und soziale Projekte sollen zur Debatte über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft, die Perspektiven der sozialen Bewegungen und neue Formen des politischen Engagements eingeladen werden. „Die Resonanz auf diese Veranstaltung wird entscheiden, ob es wie geplant zu Pfingsten 2000 die zwanzigste Volksuni in Berlin geben wird“, meint Gniewoß. Die diesjährige Pause könnte dabei sogar mobilisierend wirken. „In den letzten Tagen gab es immer wieder AnruferInnen, die uns dringend zum Weitermachen ermutigten.“ Peter Nowak ‚/B‘Heute findet um 18 Uhr im Haus der Demokratie eine von der Volksuni unterstützte Podiumsdiskussion des Bundes Demokratischer Wissenschaftler unter dem Motto „50 Jahre Grundgesetz“ statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen