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Den Staub abstreifen

Vom Journalisten zum Organisator: Im neuen ARD-Hauptstadtstudio kämpft Jürgen Engert, der Gründungsdirektor, gegen Schmutz und für journalistische Ethik  ■   Von Eberhard Spohd

Schnellen Schrittes betritt Jürgen Engert das neue Hauptstadtbüro der ARD und streift den Staub von seinem dunklen Anzug ab. „Die Bauarbeiten hier sind ein Problem für uns“, bekennt der Gründungsdirektor der neuen Politikzentrale des öffentlich-rechtlichen Konglomerats im Zentrum Berlins, „dadurch kommt Schmutz auch in unsere neuen digitalen Schnittplätze. Gestern erst sind drei Geräte ausgefallen.“ Ein Problem, um das sich Engert kümmern wird. Nebenbei begrüßt er eine neu angekommene Kollegin, während er seinem Büro zustrebt.

Für einen Smalltalk im Atrium muß immer Zeit sein. Der Direktor wirkt sehr zufrieden mit der Architektur des Neubaus an der Wilhelmstraße, wirklich nur einen Steinwurf vom Reichstag entfernt. „Man trifft sich auf dem Flur, und wenn die Türen geöffnet sind, sieht man sich auch und kann sich kurz besprechen.“ Eine professionelle Atmosphäre, ganz wie es sich Engert wünscht.

Seltsam ist die Berufsbezeichnung schon: Gründungsdirektor. Das hört sich an, als ob ein altgedienter Mitarbeiter einen gemütlichen Posten erhalten habe. Davon will Engert aber nichts wissen. Immerhin ist er Bauleiter, Personalchef, Organisationsleiter und Finanzminister des Büros, das morgen feierlich eröffnet wird.

„Mit journalistischer Arbeit hat das wirklich nichts mehr zu tun“, sagt der 63jährige. Augenscheinlich bedauert der ehemalige Moderator der Magazins „Kontraste“ ein wenig, daß er zum Verwaltungschef hochdegradiert wurde und sich mehr um die Ausstattung der Büros als um dessen journalistische Inhalte kümmern muß. Für letztere ist Ulrich Deppendorf zuständig, der zum Chefredakteur des Studios gekürt wurde.

Aber für so etwas hat Jürgen Engert Verständnis. Der ehemalige Chefredakteur Fernsehen des SFB hat sich offensichtlich mit seiner neuen Rolle abgefunden und füllt sie mit Professionalität. Darum wurmt es ihn auch nicht allzusehr, daß ihm ausgerechnet in seiner Stadt Berlin ein Kollege vom WDR den Posten weggeschnappt hat: „Herr Deppendorf und ich kennen uns seit vielen Jahren“, widerspricht er Vermutungen von Kompetenzgerangel und Proporzgedanken sofort, „und wir werden ein gutes Team bilden.“

Zwar kann der WDR dadurchweiterhin die politische Berichterstattung bestimmen, auch wenn die größte Anstalt in der ARD Abstriche machen mußte. Dennoch bescheinigt er den Kölnern, daß „die Verhandlungen über den Umzug mit einem Maximum an Fairneß geführt wurden“. Beim WDR habe man schnell eingesehen, daß in Zukunft nicht mehr in Bonn, sondern in Berlin die Fäden zusammenlaufen und daß die aktuelle Redaktion ihren Sitz in der neuen Hauptstadt haben muß.

Von parteipolitischen Absprachen oder anstaltsübergreifendem Geklüngel, die der ARD in Personalfragen immer unterstellt werden, hielt Engert nichts, als es um die Besetzung von Posten im Hauptstadtbüro ging. „Ich habe keinen der Bewerber nach seinem Parteibuch gefragt“, wird Engerts Stimme, die für einen Moderator eigentümlich undynamisch wirkt, energischer. Die Sendeanstalten der ARD hätten ihre Kandidaten für das Studio vorgeschlagen. Letztlich entschieden haben aber Deppendorf und sein Organisator. Und zwar unabhängig von Vorurteilen oder Verteilungskämpfen, stellt Engert klar und zieht an seiner Pfeife. Dann verschränkt er seine Arme und wird wieder sachlich.

Auch das Rotationsprinzip hat er eingeführt. Die Redakteure bleiben höchstens fünf Jahre in Berlin, dann müssen sie zurück zu ihren heimatlichen Anstalten. „Das sehen die Vereinbarungen für unsere Auslandskorrespondenten so vor, und es gibt keinen Grund, warum das nicht auch für die Hauptstadtredakteure gelten soll.“ Natürlich habe es in der Behörde ARD Widerstände gegen diese Neuerung gegeben. Letztlich aber konnte Engert sich durchsetzen. Von Anfang an will man den Eindruck vermeiden, daß die Medien in Berlin genauso mit den Politikern zusammenglucken wie in Bonn.

Räumlich ist die ARD dem Parlament näher gerückt. Bis zur Fertigstellung des gegenüberliegenden Neubaus kann man vom Studio auf die Kuppel des Reichstages blicken. Aber die journalistische Distanz soll größer werden. Das Fernsehen sei unabhängig, und wer selbst handeln will, der soll „die Barriere übersteigen. So wie Egon Bahr, der von der Zeitung in die Politik gewechselt ist.“

Dazu gehört aber auch, die journalistische Form aufzubrechen. Im Hauptstadtstudio möchte man wegkommen von der alten Bildsprache. „Auto kommt vor Kanzleramt an, Politiker steigt aus, das soll es irgendwann nicht mehr geben“, erklärt der Mann, der so scharf durch seine Brille blickt, sein Ziel. Ein Experiment, das die Redakteure wagen wollen, auch wenn es nicht einfach sei, den routinierten Blick der Sprecher, Kameraleute oder Cutter zu verändern. Das gehe nicht von heute auf morgen, aber „irgendwann wird geurteilt, ob wir es geschafft haben, eine neue Form der Berichterstattung zu finden oder nicht“.

Da ist sie wieder: die Professionalität, die Engert auszeichnet. Natürlich gibt er zu, daß es bei der Entwicklung und Planung des Hauptstadtbüros Kompetenzgerangel gab. Völlig klar, daß es auch einmal Streit zwischen dem SFB und der formal den Berlinern unterstellten Redaktion geben wird, wennThemen aus Berlin anliegen.

„Aber man kann sich über alles unterhalten. Wir werden lernen, Kompromisse zu schließen.“ Auch darum wird sich der Gründungsdirektor wohl kümmern. Er wird durch die vielen Gänge wandern, sich mit den Mitarbeitern unterhalten und letztlich doch die politische Berichterstattung mitgestalten.Und nebenbei den Staub, der sich über die ARD und ihre Trägheit legt, abstreifen.

„Auto kommt vor Kanzleramt an, Politiker steigt aus“, sagt Jürgen Engert, „das soll es irgendwann nicht mehr geben“

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