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Bis der Tanz dich tanzt

Jede Bewegung hat eine Geschichte: Zu westafrikanischen Rhythmen tanzen sich Hamburgerinnen den Alltag von der Seele  ■ Von Oliver Lück

Wenn Angelina Akpovo die Stufen zum Studio hinaufsteigt, freut sie sich auf die Befreiung ihrer Seele. Denn das ist es, was der Tanz bewirkt, erklärt die 37jährige, die in Altona Kurse für Frauentänze aus ihrer westafrikanischen Heimat Benin leitet. Daß die meisten ihrer Schülerinnen aus Deutschland kommen, tut der Ausgelassenheit in dem kleinen Spiegelsaal keinen Abbruch. „Man muß nur versuchen, die afrikanische und europäische Kultur zu mischen“, lacht die zweifache Mutter. Seit 16 Jahren lebt sie mit ihrem deutschen Mann in Hamburg, bietet aber auch Workshops in Benin und Miami an.

Ihr Konzept hat Erfolg: Wenn die Tänzerinnen sich umziehen, werden die Kleiderhaken in der Garderobe oft doppelt belegt. Designerkostüme hängen neben Lederjacken, Kinderschuhe stehen neben hochhackigen Pumps. Eine Frau dreht ihr Haar zum klassischen Knoten, die nächste stabilisiert ihre Frisur mit Styling-Gel. Studentinnen sind ebenso dabei wie Hausfrauen oder Angestellte. Vergeblich sucht man nach Feierabendausländerinnen, die sich perlenbehangen nach stereotyper Exotik sehnen.

Der Kursus schmiegt sich eng an das, was ihr Land ihr gibt. Zu traditioneller beninischer Trommelmusik übernimmt Akpovo Zeichen und Bewegungen des Alltagslebens. Auch Geburts- und Masturbationstänze werden den fortgeschrittenen Tänzerinnen angeboten. Vermischungen mit Gesten des Vodoun-Kults – in Europa besser bekannt unter der englischen Bezeichnung Voodoo – gehören zwangsläufig dazu. Denn die Republik Benin ist das Herkunftsland dieser oft mißverstandenen Religion. Nicht selten wird der von Geistern und Ahnen beseelte Naturglaube mit magisch-blutigem Schrecken gleichgesetzt und liefert immer wieder Vorlagen für Gruselfilme oder entsprechende Romane.

Rund 65 Prozent der fünfeinhalb Millionen Menschen in der ehemaligen französischen Kolonie praktizieren Voodoo-Zermonien. Tänze zu Ehren der Götter sind dabei ein wichtiger Bestandteil. „Diese darf ich in ihren Einzelheiten aber nicht unterrichten“, sagt die gelernte Krankenschwester, „das würde die Religion verletzen“. Dennoch erzählt jeder Tanz eine Geschichte: von der Arbeit auf den unzähligen Baumwollfeldern des Landes, vom Wassertrinken aus einem Becher oder dem Fegen des Bodens mit einem Handbesen. Dabei geht es unweigerlich auch um Dinge, die nichts mit den europäischen Gewohnheiten zu tun haben. „Aber gerade hier müssen erste und dritte Welt miteinander verbunden werden“, findet Angelina. „In Europa benutzt man eben keine Besen, sondern Staubsauger.“ Die Bewegungen müßten entsprechend den Gewohnheiten des jeweiligen Landes umgesetzt werden.

Aller Anfang ist allerdings schwer. Mit viel Fingerspitzengefühl versucht die Kursleiterin, die deutschen Frauen aus der Reserve zu locken – bis der Tanz sie tanzt, und im Zweifel bis hin zu einer gewissen Selbstentblößung. Schließlich werden viele der Gesten, wie das starke Vorstrecken der Hüfte, als anstößig angesehen. „Das konservative CDU-Denken muß raus aus den Köpfen“, fordert Angelina. Immerhin habe es auch in der mythischen Geschichte Europas die Walpurgisnacht gegeben, in der sich weibliche Wesen in Hexengestalt ausgelebt hätten.

Ihren Schülerinnen gelingt diese Leidenschaft schon ganz gut. Gemeinsam wollen sie sich den Tag von der Seele tanzen. Stück für Stück fällt die Straßenhektik ab; „man kommt auf ganz andere Gedanken“, beschreibt die 24jährige Lockhee Goburdhun. „Die durchschnittlichen Mitteleuropäer sind einfach zu steif und zurückhaltend“, findet Margret Baumann, 46 Jahre alt und seit sechs Monaten dabei. „Ich weiß jetzt viel besser mit meinem Körper umzugehen und selbsbewußter aufzutreten.“ Angelina ist zufrieden und lacht – so, wie sie es fast immer tut.

Kontakt über „billis Das Tanzstudio“, 0850 54 40

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