: The next generation
■ Passiv-Solarhäuser setzen neue Maßstäbe. Die Energiekosten liegen bei unter 20 Mark – im Jahr
„Bei diesen Häusern wäre es einfach unangebracht, bei offener Tür mit dem Nachbarn ein halbstündiges Schwätzchen zu halten“, lacht Manfred Brausem. Der Kölner Architekt kennt die Energiebilanz der fünf Häuser haargenau, die er in Lindlar-Hochkeppel, auf halbem Weg zwischen Köln und Gummersbach, geplant, ohne öffentliche Mittel frei finanziert und dann auch noch gebaut hat. Und um Energie, genauer um Energieeinsparung, dreht sich fast alles bei diesen Neubauten.
Die kleine Siedlung von Passivhäusern im Oberbergischen Land, die erste ihrer Art in Nordrhein-Westfalen, ist quasi „the next generation“ ökologisch und energetisch optimierter Häuser. Äußerlich ist das nicht sichtbar. Die geneigte Stahlbalkonkonstruktion ist auffallend futuristisch, da die dort installierten Solarkollektoren zugleich als Schattenspender dienen. Die großen, für solares Bauen typischen, nach Süden ausgerichteten Scheiben stechen ins Auge, auch die kleinen, nach Norden gerichteten Fenster heben sich von konventionellen Bauten ab, nicht aber von den zahlreicher werdenden Niedrigenergiehäusern. Während diese Bauweise langsam zum Standard bei Neubauten wird, hat Brausem mit seinen in eine spezielle Holzrahmenkonstruktion eingepackten Passiv-Solarhäusern den Sprung ins nächste Jahrtausend vorweggenommen.
Liegt der Heizenergieverbrauch in einem heutigen Niedrigenergiehaus bei 70, wenn alles optimal läuft, bei vielleicht 50 Kilowattstunden (kWh) je Quadratmeter im Jahr, so sind die Neubauten in Lindlar auf einen Heizenergiebedarf von weniger als 15 kWh/qm ausgelegt. „Und das zu Preisen, die nicht höher liegen als bei sonstigen Neubauten“, betont Architekt Brausem mit hörbarer Zufriedenheit. Den Preis von 2.300 Mark pro Quadratmeter Wohnfläche in Lindlar hat er bei Nachfolgeprojekten bereits unterboten.
Möglich wird dieser Preisrutsch nicht nur durch computergestützte Planung und den vollständigen Verzicht auf eine konventionelle Heizung mit Schornstein, sondern vor allem durch die Vorfertigung von Wänden, Dekken und Dach. „Das spart an Bauzeit“, so Manfred Brausem. „Wer sich für dieses Haus entscheidet, weiß, daß er drei Monate nach dem ersten Spatenstich den Umzugswagen bestellen muß.“ Nicht nur für die Kostenrechnung sieht der Kölner Architekt große Vorteile durch die Vorproduktion, die für ihn künftig beim Bau der Passiv-Solarhäuser entscheidend sein wird: „Von einem Handwerker können Sie bei Sauwetter nicht Topqualität erwarten, was in einer Halle ganz anders aussieht.“
Auf Topqualität kommt es nämlich bei den Passivhäusern an, das heißt, sie müssen so gut wie luftdicht sein. Denn ansonsten wäre die 30 Zentimeter dicke Dämmstoffschicht, die noch zusätzlich mit einer 7 Zentimeter breiten Wärmeschutzschicht an der Außenseite versehen ist, für die Katz. Energie kann auch nicht durch die dreifachverglasten Fenster oder die gedämmten Rahmen entweichen, im Gegenteil: Die Scheiben der großflächigen Südfront dienen, so der engagierte Solararchitekt, als „durchsichtige Kollektoren“. „So kommt mehr Energie rein als entweicht, außerdem bietet dieses Passivhaus-Konzept im Sommer die dann gewünschte Kühle im Haus.“
Kühl, das heißt in diesem Fall kalt, wird es in dem Haus keineswegs. Neben einem bewußten Nutzerverhalten, sprich dem Verzicht auf ein halbstündiges Schwätzchen mit dem Nachbarn bei offener Wohnungstür, setzen die Lindlarer Passivhäuser auf vier Energiequellen: Genutzt wird nicht nur die Abwärme aller elektrischen Aggregrate wie von Lampen, Hi-Fi-Geräten oder dem Backofen, sondern auch die menschliche Körperwärme. Eine Heizung en miniature gibt es auch, und zwar eine mit Flüssiggas gespeiste 1.200-Watt-Kleinstheizung. In dieser Leistungsklasse gibt es keinen normalen Gasheizkessel. Dafür, daß die Bewohner nicht unter ihrem eigenen Mief zu leiden haben, sorgt eine zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Und nicht nur das: Mit diesen modernen Geräten ist immerhin eine Wärmerückgewinnung von rund 90 Prozent möglich.
Daß dieses Wärmekonzept funktioniert, hat Manfred Lücke, einer der Bewohner der fünf Häuser, in diesem Winter mit einigen Schneetagen und Minustemperaturen am eigenen Leib erfahren: „Gefroren haben wir an keinem Tag, was uns einige unserer Freunde vorher nicht glauben wollten.“ Einen genauen Überblick über die Heizkosten hat der Unternehmensberater noch nicht. Er rechnet damit, daß die Heizung drei bis vier Propangasflaschen à 33 Kilogramm benötigt. Umgerechnet auf das gesamte Jahr heißt das: Die Energiekosten in dem Haus mit 166 Quadratmeter Wohnfläche liegen bei unter 20 Mark – wie gesagt, im Jahr. Für Lücke, dessen Vater Paul in den Jahren 1957 bis 1965 einer der ersten Bundesbauminister war, hat sich der Kauf nicht nur deshalb gelohnt: „Wir fühlen uns hier sehr wohl.“
Architekt Brausem hört dies gern. Eine Bestätigung seines Konzepts gibt es auch von Rainer van Loon, der bei der Energieagentur Nordrhein-Westfalen als Energieberater tätig ist: „Energetisch vorbildlich und nachahmenswert.“ Nachahmungsbedarf gibt es in der Tat genug. Bislang existieren bundesweit nur rund 100 Passivhäuser, das erste dieser Art wurde übrigens bereits 1991 im Darmstädter Stadtteil Kranichstein bezogen. Bis Ende dieses Jahres wird es nach Schätzungen von Anne Fingerling, Sprecherin des Informationskreises Passivhaus aus Kassel, rund 300 derartige Wohneinheiten geben: „Wir erwarten bei den Passivhäusern für die kommenden Jahre eine ähnliche Dynamik wie bei den Niedrigenergiehäusern.“ Optimistisch stimmt Fingerling nicht nur die mit der Ökosteuerreform zum 1. April verbundene Verteuerung von Heizöl, Strom und Gas. Auch die anstehende Energiesparverordnung 2000, die im kommenden Jahr die bisherige Wärmeschutzverordnung ablösen wird, wird neue Energiestandards für Neubauten setzen: „An einem möglichst niedrigen Energieverbrauch sind Bauherren und Mieter gleichermaßen interessiert.“ Deshalb gehen einige Bauexperten nach Informationen Fingerlings davon aus, daß die Passiv-Solarhäuser künftig einen Marktanteil von rund 20 Prozent bei den Neubauten gewinnen werden. Ralf Köpke ‚/B‘ MB Planungs und Bauträger, www.aknw/de.passiv-haus. Passivhaus Informationskreis, www.passivhouse.com
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