: Ränkespiel um ein Tonband
■ Nach den Schüssen am israelischen Konsulat in Berlin ranken sich Verschwörungstheorien um ein Protokoll. Von einer Intrige gegen den Polizeipräsidenten ist die Rede, gar gegen den Innensenator
Diejenigen, die der Meinung waren, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß zu den Todesschüssen am israelischen Generalkonsulat bringe nichts, werden zur Zeit Lügen gestraft. Am vergangenen Freitag, als der Untersuchungsausschuß zum ersten Mal einen Zeugen, Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU), vernahm, tauchte ein Tonbandmitschnitt auf, durch den der Stuhl des Berliner Polizeipräsidenten Hagen Saberschinsky bedrohlich ins Wanken geriet.
„Ja, ja, ja, ok. Wir schützen die ganze Welt“, hatte Saberschinsky zu Innenstaatsekretär Kuno Böse (CDU) am 16. Februar gesagt, als er von diesem auf die Gefährdung israelischer Einrichtungen angesprochen wurde. Das war einen Tag vor der Besetzung des israelischen Generalkonsulats. Einen besseren Persilschein, so schien es, konnte es für Böse nicht geben. Inzwischen hat sich der Wind für den Innenstaatssekretär jedoch kräftig gedreht. Zwei große Berliner Tageszeitungen spekulierten gestern ganz offen darüber, daß das Protokoll von dem Tonbandmitschnitt von Böse selbst in die Öffentlichkeit lanciert worden sei. Die Absicht: Böse wolle nicht nur Polizeipräsident Hagen Saberschinsky, sondern auch Innensenator Eckart Werthebach (CDU) zu Fall bringen. Er fühle sich von seinem Senator gegängelt und habe unter ihm an Macht verloren.
Das Ganze klingt nach abenteuerlicher Verschwörungstheorie. Aber so manche Sicherheitsexperten der Stadt versichern: „Da ist was dran.“
Über die vier Toten und zahlreichen schwerverletzten Kurden bei dem Sturm auf das israelische Generalkonsulat am 17. Februar spricht zur Zeit kaum einer mehr.
Um zu verstehen, was sich zur Zeit in der Hauptstadt abspielt, muß man die Vorgeschichte kennen. Am 16. Februar, als PKK-Anhänger gerade das griechische Generalkonsulat besetzten, hatte Böse vom Lagezentrum der Berliner Innenverwaltung aus an einer Telefonschaltkonferenz mit den Innenministern von Bund und Ländern teilgenommen. Um die Ergebnisse später schwarz auf weiß haben zu können, war ein Tonband mitgelaufen. Innensenator Werthebach war zu dieser Zeit verreist und kam erst am Abend desselben Tages nach Berlin. Als Böse kurz nach der Schaltkonferenz – um 11.55 Uhr – mit Polizeipräsident Saberschinsky telefonierte, lief das Band weiter mit. Saberschinsky betont heute, er habe von den Aufzeichnungen nichts gewußt. Merkwürdigerweise war das Protokoll von diesem Telefongespräch eine der ersten Unterlagen, die der Untersuchungsausschuß am vergangenen Mittwoch von der Innenverwaltung in einem Leitz-Ordner ausgehändigt bekam. „Wir haben das gar nicht angefordert“, sagt mit einer gewissen Verwunderung der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Wolfgang Wieland. Die Unterlagen, die der Ausschuß angefordert habe, seien ihm dagegen nicht zugestellt worden. Wieland will klären lassen, wer sie zusammengestellt habe.
Innensenatssprecherin Isabelle Kalbitzer bezeichnete die Spekulationen über die angeblichen Intrigen von Böse als „hanebüchenen Quatsch“. Die von der Abteilung „Grundsatz“ der Innenverwaltung zusammengestellten Unterlagen seien sowohl von Böse als auch von dessen Chef Werthebach abgezeichnet worden, bevor sie das Haus verließen. Danach gingen sie über den Schreibtisch der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU). Saberschinsky selbst, so Kalbitzer, habe seine ausdrückliche Zustimmung gegeben, daß das Protokoll von dem Tonbandmitschnitt Bestandteil der Unterlagen für den Ausschuß bleibe. „Wir wollten dem Ausschuß nichts vorenthalten, und haben deshalb sämtliche Protokolle über den Ablauf des 16. und 17. Februar zusammengestellt.“
Danach hat die Polizeiführung bei der Staatsanwaltschaft darum ersucht, wegen des Tonbandmitschnitts Strafanzeige aufgrund einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes zu erstatten.
Die Verschwörungstheorie, wonach Böse der Drahtzieher der Kampagne gegen Saberschinsky sei, wird allerdings von manchen nicht geteilt. Möglich sei viel eher, daß Böse in Abstimmung mit seinem Chef Werthebach Saberschinsky zum Abschuß freigegeben habe, um den eigentlichen Verantwortlichen, den Innensenator, aus der Schußlinie zu nehmen.
SPD-Sicherheitsexpertin Heidemarie Fischer ist davon überzeugt, daß Saberschinsky zum Sündenbock abgestempelt wird, um vom eigenen Fehlverhalten, zum Beispiel des Landesamtes für Verfassungsschutz, abzulenken. Dagegen hält das CDU-Mitglied im Ausschuß, Andreas Gram, die Aufregung um das Telefonat für „ausgemachten Oberquatsch“. Für den PDS-Abgeordneten Steffen Zillich liegt es an der SPD, ob Werthebach noch zu halten ist. Nur wenn sie ihn fallenlasse, wakkele sein Stuhl. Plutonia Plarre, Philipp Gessler
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