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Hundert Meter Antifaschismus

Selbst böse Menschen haben viele Lieder, und gut verdient wird an dem Nazi-Geschrammel auch noch: An der Alice-Salomon-Fachhochschule in Hellersdorf diskutierten StudentInnen über Rechtsrock  ■   Von Kolja Mensing

Der Bezirk Hellersdorf ist eine Hochburg der rechten Szene. Die NPD bekommt hier mehr Stimmen als in den anderen Ostbezirken, und die Liste der Übergriffe auf Ausländer ist lang. Kein schönes Umfeld, dieses Umfeld, müssen die Studenten und Studentinnen der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ASFH) gedacht haben. Als ihre Schule vor einem knappen Jahr aus Schöneberg nach Hellersdorf umzog, haben sie darum vor den Eingang erst einmal ein ganz dick durchgestrichenes Hakenkreuz gemalt: Nazis müssen draußen bleiben.

Die ASFH ist sozusagen eine antifaschistische, befreite Zone, und bevor man am Mittwoch unter dem Titel „Böse Menschen haben keine Lieder ...“ über Rechtsrock und jugendliche Subkultur diskutierte, wurde das Audimax ausdrücklich zur No-go-Area erklärt: „Wir diskutieren hier nicht mit Rechtsradikalen“, insistierte die Moderatorin.

Michael Weiß vom „Antifaschistischen Pressearchiv“ erklärte dann den Wirkungszusammenhang von rechter Rockmusik und der Skinheadszene und zeigte allerlei schaurige Videos: von einem Konzert in Anklam zum Beispiel, bei dem Hakenkreuzflaggen geschwenkt werden und gemeinsam „Kill those Niggers“ gegrölt wird: Music is the message.

Die kulturelle Hegemonialstrategie ist offensichtlich recht erfolgreich, nicht nur ideologisch: Sehr ordentlich verdient wird am Nazi-Geschrammel auch, „in der Szene werden Millionenumsätze gemacht“, erklärte Weiß. Eine Band wie „Endstufe“ aus Bremen, die man nur in den CD-Regalen von ein paar durchgeknallten Skinheads vermutet hätte, hat zum Beispiel bisher an die 100.000 Tonträger verkauft. Die CDs mit den bösen Liedern und dem Wikinger-Kitsch auf den Covern tauchen immer mal wieder in den Schulen auf, berichtete Sylke Kirschnick vom „Zentrum demokratische Kultur“, und die „Screwdriver“-Hymne „Tomorrow belongs to me“ erfreut sich hier allgemeiner Bekanntheit.

Hätte man sich die Analyse ihres Vorredners vielleicht auch irgendwo zusammenlesen können, erzählte Sylke Kirschnick nun aus dem wirklichen Leben rund um die Alice-Salomon-Schule: zum Beispiel von ihren Gesprächen mit Hellersdorfer Schulklassen, in denen manchmal bis zu acht Schüler im klassischen Skinhead-Outfit auftreten, die engagiertesten rechten Beiträge allerdings von den Jugendlichen mit ordentlich gekämmten Haaren und gepflegtem „Fred Perry“-Poloshirt kommen.

Ein Umfeld eben, dem die Alice-Salomon-Fachhochschüler mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz Hausverbot erteilen, das sie sich aber auch nicht nehmen lassen wollen. Schon gar nicht von einer Referentin, die es anscheinend wagt, mit rechten Jugendlichen zu reden: „Kein Wunder, daß es so viele faschistische Jugendliche gibt, so, wie du hier redest!“ brüllte jemand aus dem Publikum, und ein anderer erzählte entrüstet von den „vielen NPD-Plakaten“, die er „da draußen“ gesehen habe.

Den kurzen Weg von der Fachhochschule zum U-Bahnhof Hellersdorf legten die angehenden Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen anschließend recht zügig zurück. Hundert Meter echtes Leben, hundert Meter Antifaschismus: Kurzstreckenrekord in der Disziplin „gutes Gewissen“.

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