■ Der Geschlechterkonflikt auf dem Arbeitsmarkt kann nur durch Umverteilung gelöst werden – Männer müssen weniger arbeiten: Der Ärger mit den Männern
Jobs, Jobs, Jobs – so lautet das Credo der neuen Regierung. Doch auch Rot-Grün fehlt das Rezept, schon weil die Diagnose falsch gestellt ist. Der chronische Patient Arbeitsmarkt krankt nicht nur an technischer Rationalisierung oder schleppender Inlandskonjunktur. Hinter der monatlichen Hiobsbotschaft aus Nürnberg steckt auch ein Geschlechterkonflikt.
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf stellte vor kurzem einen verblüffenden Zahlenvergleich auf: Einschließlich der Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt gehen in Sachsen 411 von 1.000 Einwohnern einer bezahlten Tätigkeit nach – in Nordrhein-Westfalen sind es nur 409. Trotzdem liegt die Arbeitslosenquote im Osten rund doppelt so hoch wie im Westen. Biedenkopf erklärt diesen Unterschied sehr abstrakt damit, daß die „Erwerbsneigung regional stark voneinander abweicht“. Konkret meint der CDU-Politiker, was er sich öffentlich nicht zu sagen traut: Die ostdeutschen Frauen wollen weder Hausfrau noch Hinzuverdienerin sein, sondern weiter Vollzeit arbeiten. Das aber ist im patriarchalen Sozialstaat (west)deutscher Prägung nicht vorgesehen.
In der Debatte um die Zukunft der Arbeit ist viel von Standort, Lohnnebenkosten oder Globalisierung, aber wenig von der Geschlechterfrage die Rede. Frauen lassen ihre nahezu gleichwertige berufliche Qualifikation nicht mehr freiwillig im Kochtopf verdampfen; selbst unter den Müttern kleiner Kinder wächst die Nachfrage nach Erwerbsarbeit. Die vielgepriesene Vollbeschäftigung zwischen 1960 und Mitte der siebziger Jahre war stets eine Vollbeschäftigung für Männer. Der männlichen Normarbeit entsprach die weibliche Abweichung von der Arbeitsnorm: Frau verzichtete, damit ihr Partner im Beruf seinen Mann stehen konnte. Das einst dem Bürgertum vorbehaltene Lebenskonzept des Alleinverdieners entwickelte sich während des Wirtschaftswunders zum allgemeinen Leitbild. „Die Frau eines Stahlarbeiters braucht nicht zu arbeiten“ – diese Devise führte zu einer (in der alten Bundesrepublik) niedrigen Erwerbsbeteiligung der Frauen – und damit zur Vollbeschäftigung der Männer.
Der Wirtschaftswissenschaftler Meinhard Miegel, ein alter Weggefährte Biedenkopfs, hat für Westdeutschland vorgerechnet, daß es rund drei Millionen Erwerbspersonen weniger gäbe, wenn die Zahl der berufsorientierten Frauen im Vergleich zu den sechziger Jahren nicht deutlich gestiegen wäre. Im Klartext: Würden die Mütter zu Hause bleiben, verschwänden rein statistisch zwei Drittel der Arbeitslosen. Von solcher Stammtischarithmetik distanziert sich Miegel. Ihm ist klar, daß man(n) das Recht von Frauen auf eine eigenständige Berufsbiographie nicht einfach rückgängig machen kann. Die rechtspopulistische Forderung „Frauen zurück an den Herd“ ist selbst innerhalb der CDU eine Minderheitenposition.
Aber auch das gerade in der SPD populäre Rezept, durch exorbitant hohe Wachstumsraten genügend Erwerbsarbeit für alle zu schaffen, ist zum Scheitern verurteilt. Das Angebot an bezahlten Jobs läßt sich nicht beliebig vermehren. Der Geschlechterkonflikt auf dem Arbeitsmarkt kann nur durch Umverteilung gelöst werden. Platt formuliert: Frauen können nur dann mehr arbeiten, wenn Männer weniger arbeiten. Überstunden, 60-Stunden-Wochen und die entsprechenden Einkommen sind ein Privileg. Radikale Arbeitszeitverkürzung ist keine verstaubte Parole, sondern ein sehr modernes Konzept, das Erwerbslosigkeit endlich auch als „Gender“-Problem begreift.
Der bunte, unterbrochene Berufsweg, den Frauen schon immer durchlaufen haben, wird auch für Männer die neue Norm. Lebenslange Probezeit statt lebenslanger Anstellung: Vor allem schlecht Qualifizierte zahlen einen hohen Preis, wenn sie die geschützte Welt der Tarifverträge verlassen müssen. Das britische Wirtschaftsblatt The Economist machte sich schon vor gut zwei Jahren seine ganz eigenen Sorgen: Unter der Schlagzeile: „The trouble with men“ prognostizierte die Zeitschrift, daß gerade männliche Beschäftigte mit angelernten Fertigkeiten das „zweitrangige Geschlecht von morgen“ bilden könnten.
Die einstigen Helden der Industriegesellschaft werden immer weniger gebraucht. Die Krise der Arbeit ist zugleich eine Krise der männlichen Identität. Im Gegensatz zu Frauen verfügen Männer nicht über allgemein akzeptierte Alternativen, um ihrem Leben jenseits der Erwerbsarbeit einen Sinn zu geben. Die „Breadwinner“-Rolle ist brüchig geworden, neue Konzepte einer anderen Balance zwischen Beruf und Privatem sind angstbesetzt und werden nur von einzelnen Exoten erprobt. Eine Existenz als Hausmann, Hedonist oder Hinzuverdiener können und wollen sich nur wenige Paradiesvögel leisten. Die Vorstellung, weniger zu verdienen als ihre Partnerin, ist für viele Männer ein gruseliger Gedanke.
Der erwerbslose Familienvater gilt als ganz besonderes Symbol für den Schrecken der Arbeitslosigkeit. Erwerbslose Mütter dagegen sind nicht arbeitslos, sondern Hausfrau und „nicht berufstätig“. Hauptsache, der „Ernährer“ hat eine gute Stelle, und die Grundversorgung der Familie bleibt gesichert. Das deutsche Sozialsystem fußt auf patriarchaler Ideologie. Die Hinterbliebenenrente wie auch die Mitversicherung in der Krankenkasse für die nicht oder auf 630-Mark-Basis jobbende Ehegattin gehen vom gleichen Prinzip aus: Das Männereinkommen ist der Ausgangspunkt, Fraueneinkünfte setzen sich überwiegend aus abgeleiteten Ansprüchen zusammen. Das prägt auch die Strategie der Gewerkschaften: Der fleißige Facharbeiter hat zwei Kinder und eine Frau zu Hause; deshalb braucht er mehr Geld und nicht mehr freie Zeit. Der jüngste Tarifstreit in der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst war eine Wiederaufführung dieser stets gleichen Inszenierung. Statt dessen das Thema Arbeitsumverteilung in den Vordergrund zu rükken, stößt in der auf Einkommensteigerung fixierten männlichen Stammkundschaft der Gewerkschaften auf Widerstand. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und sein ÖTV-Kollege Herbert Mai können ein Lied davon singen.
Das Ende der Normarbeit ist nicht nur ein Risiko, sondern eröffnet auch Chancen: Bewegliche Zeitstrukturen und farbige Berufsbiographien befördern ein Lebenskonzept, in dem die Erwerbstätigkeit auch für Männer allmählich ihre zentrale Bedeutung verliert. Eine Politik, die flexible Normalarbeitszeiten weit unterhalb der 35-Stunden-Woche etwa durch Steueranreize und niedrigere Sozialversicherungsbeiträge attraktiv macht, wäre ein Beitrag zur Lösung des Geschlechterkonfliktes – und damit vielleicht auch zur Lösung der Probleme am Arbeitsmarkt. Thomas Gesterkamp
Die einstigen Helden der Industriegesellschaft werden immer weniger gebraucht
Das deutsche Sozialsystem fußt nach wie vor auf einer patriarchalen Ideologie
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen