piwik no script img

Bunt, bunter, am buntesten

Rechtzeitig vor dem Christopher Street Day eröffnet eine Ausstellung neue Blicke aufs karnevalistische Treiben  ■  Von Gisela Sonnenburg

Benito Nuti ist, was man ein Hamburger Original nennen könnte. Seit 1965 lebt der gebürtige Italiener an der Elbe. Auf die Frage nach seinem Alter schmunzelt er: 63 ist er schon. Doch erst seit eineinhalb Jahren bestreitet der engagierte Hobby-Fotograf Ausstellungen. Wie die über den Christopher Street Day 98, die am Sonntag um 14 Uhr im Kulturladen St. Georg in der Langen Reihe 111 eröffnet wird und bis zum 2. Juli zu sehen ist.

Normalerweise kennen die Besucher des Kulturladens übrigens andere Benito-Produkte: Der Frührentner bekocht im Multikulti-Stil die Gäste des Cafés (montags bis donnerstags 13-22 Uhr). Doch jetzt ist alles bunt, bunter, am buntesten, denn es tobt das wilde schwul-lesbische Leben an den Wänden.

„Die Freiheit, anders zu sein“, sagt Benito, fasziniert ihn bei den Paraden zum Christopher Street Day (CSD). So sehr, daß er letztes Jahr spontan – statt einem, wie geplant – sechs Fotofilme verschoß. Die schönsten sechzig Bilder zeigt er nun her: Schnappschüsse, Porträts, stimmungsvolle Impressionen, eingefangen auf einer Veranstaltung, die ursprünglich politischen Hintergrund hat, mittlerweile aber vornehmlich karnevalistisch ist: Straßentheater, im wörtlichen Sinn.

Benitos Fotos dokumentieren aber nicht nur das, sondern auch seinen eigenen unverstellten, unverdorbenen Blick. Noch die größten Talente in Selbstdarstellung erwischt sein naives Kameraauge zwar ohne Vorbehalte, aber auch ohne imagepflegende Zugabe. Was oder wer ihm vor die Linse kommt, wirkt einfach echt.Da sind die beiden Kahlgeschorenen, die auf den ersten Blick wie Doppelgänger anmuten, von denen einer aber eine himmelblaue Federboa um den Hals gewunden trägt. Mit ungewohntem Schamgefühl, wie man glaubt, in seinem Blick lesen zu können.

Da ist auch die hippe Travestie-Schönheit, die sich von einem Umzugswagen herab sehr hoheitsvoll gebärdet. Und da ist der als Matrosenbursche Verkleidete, dem zwar ein Hardcore-Outfit à la Querelle gelingt, der sein wahres Naturell aber nicht verleumden kann: Der Junge ist halt lieb und nett. Andere sind versierter und haben für alle Wetterfälle den Regenschirm im resoluten Griff dabei. Der ist natürlich auch quietschbunt. Und irgendwo blitzt keck ein Knie in Strapsen auf, wirft jemand Konfetti oder wackelt mit den wohlgeformten Hüften.

Daß selbst Stinos (Stinknormale) an diesem Tag feiern dürfen, wie sie wollen, sollte nicht nur jeder wissen, sondern macht auch Spaß, sich auf den Fotos anzugucken: als Einstimmung auf den diesjährigen CSD und als Gelegenheit, übers Anderssein, über Toleranz, über Menschen- und politische Rechte nachzudenken. Zumal in diesem Jahr der erste CSD nach der Einführung der sogenannten Hamburger Ehe auf uns zukommt. Ob es deshalb weniger bunt wird? Oder führt die Möglichkeit, sich auch als Homo oder Lesbe amtlich als Paar führen zu lassen, zu einer Steigerung? Wir werden es erleben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen