: Seit zwanzig Jahren ein Haus für wehrhafte Frauen und ihre Kinder
■ Mit heißen Dessous, Knarre und Patronenhülsen feiert Berlins 2. Autonomes Frauenhaus seinen 20. Geburtstag
Der Flyer ist provokant: Eine Frau telefoniert mit einem Walkie-Talkie. Sie ist nur mit einem Spitzenhöschen bekleidet, auf dem „Gudrun Enslin“ eingestickt ist. In dem Dessous stecken außerdem eine Knarre und mehrere Patronenhülsen.
Keine Werbung für eine Telefonfirma oder gar ein Waffengeschäft, sondern die Ankündigung für die Jubiläumsparty des 2. Berliner Autonomen Frauenhauses, das in diesen Tagen seinen 20. Geburtstag feiert. „Wir haben dieses Design bewußt ausgewählt“, sagt Frauenhaus-Mitarbeiterin Sudabeh Mohafez. „Wir wollen eine wehrhafte Frau zeigen.“
Vor 20 Jahren wäre eine solche Anzeige nicht möglich gewesen. Damals, als das zweite Berliner Frauenhaus eröffnete, war das Thema „Gewalt gegen Frauen“ gesellschaftlich noch weitgehend tabusiert. In der öffentlichen Diskussion wurde die geschlagene oder mißbrauchte Frau entweder auf ihren Opferstatus reduziert oder das Thema total verharmlost. Strukturelle Gewalt, wie Gesetze, die Frauen benachteiligen, spielte überhaupt keine Rolle.
Die Frauenhaus-Bewegung hat das öffentliche Bewußtsein im Laufe der Jahre zumindest geschärft. Frauenpolitikerinnen jeglicher Couleur befassen sich mittlerweile mit der Problematik. In Berlin gibt es heute sechs Frauenhäuser und zahlreiche weitere Einrichtungen, die sich dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ angenommen haben.
Ein Problem indes ist nicht geringer geworden: Das 2. Frauenhaus, das erste eröffnete 1976, ist ständig bis auf den letzen Platz belegt. In dem Haus, dessen Adresse nach wie vor nicht öffentlich ist, gibt es 70 Plätze für Frauen mit ihren Kindern. Insgesamt stehen für sie 24 Zimmer zur Verfügung.
Und auch die Grundsätze sind nach 20 Jahren die gleichen: Männer werden im Haus nach wie vor nicht toleriert, Alkohol und Drogen sind nicht erlaubt. Es gibt keine hierarchischen Strukturen unter den Bewohnerinnen und den Beraterinnen, wie die Mitarbeiterinnen sich selbst nennen. Diese arbeiten absolut parteilich, d.h sie stellen die Aussagen der Frauen über Gewalttaten und ihre Beziehungen grundsätzlich nicht in Frage. Der Mißhandler selbst wird in die Beratungsarbeit nicht miteinbezogen.
„Wir sind vielleicht eines der letzten Kollektive dieser Stadt“, resümiert Elisabeth Rubrecht, die von Anfang an dabei ist. Anders als vor zwanzig Jahren jedoch, haben sich die Beraterinnen auf einzelne Tätigkeiten im Haus spezialisiert – eine kennt sich besonders gut mit dem Ausländerrecht aus, die andere ist firm in der Verwaltung. „Wir müssen nicht mehr alle alles können“, sagt Sudabeh Mohafez.
Und noch etwas anderes hat sich verändert, schleichend. Suchte vor 20 Jahren noch vorwiegend die „weiße Frau mit einem deutschen Paß“ das Frauenhaus auf, sind es jetzt zunehmend Migrantinnen. Das bedeute jedoch nicht, daß heute mehr Migrantinnen mißhandelt würden als früher, sagt Mohafez. Vielmehr kämen die Frauen, weil die Mitarbeiterinnen sich auf Themen wie Aufenthalts- und Asylrecht spezialisiert hätten. Sie beraten in zwölf Sprachen, unter anderem in türkisch, polnisch und serbo-kroatisch. Sechzig Prozent der Frauen müssen laut Quotierung nicht-deutscher oder bikultureller Herkunft sein.
Dementsprechend hat sich auch der Feminismusbegriff der Mitarbeiterinnen differenziert. Sudabeh Mohafez, die selbst aus dem Iran kommt, möchte den Begriff am liebsten gar nicht verwenden: Nicht, weil sie sich nicht als Femininistin versteht, sondern weil es dafür höchst unterschiedliche Deutungen gibt: „Wenn, dann rede ich von Feminismen“, sagt sie, die seit 1995 im Frauenhaus arbeitet. Ähnlich verhält es sich mit dem Geschlechterverhältnis. „Wir definieren die Gesellschaft nach wie vor als patriarchal“, so Mohafez. Doch: „Wir belehren die geschlagenen Frauen darüber nicht mehr.“
Verstärkt hat sich die Bereitschaft, mit Institutionen zusammenzuarbeiten, in der auch Männer verkehren, zum Beispiel mit der Polizei oder dem Jugendamt. So bieten Frauenhaus-Mitarbeiterinnen Fortbildungslehrgänge für PolizistInnen an, und auch wenn es um Frauenhandel geht, arbeitet das Frauenhaus schon seit Jahren mit der Polizei zusammen. Das habe, so Sudabeh Mohafez, nichts mit einer „verwässerten Ideologie“ zu tun, sondern mit Selbstbewußtsein: „Wir haben mittlerweile sehr viel Erfahrung“, sagt sie und klingt stolz. Das Projekt Frauenhaus identifiziere sich nicht über „Abgrenzung und Abschottung“, wie noch vor einigen Jahren, sondern über ein „inneres Gefühl und Stärke“. Und das klingt gar nicht pathetisch. Julia Naumann
Die Jubiläumsparty steigt am 5. Juni ab 20 Uhr im SO 36, Oranienstraße 109, in Berlin. Dort tritt u.a, Jenni Zylka mit dem „Putzfrauenreport 6“ und Fetneh auf. Außerdem legen Djane Simi, DR. Supa und Djane Ipek auf. Women only.
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