: Minister für Lächeln
Nato-Generalsekretär Javier Solana soll EU-Superminister werden ■ Ein Porträt von Reiner Wandler und Andreas Zumach
Madrid/Genf (taz) – „Für mich ist das Ganze ein riesiges persönliches Drama“, gestand Nato-Generalsekretär Javier Solana Anfang des Jahres ein. Von weitem waren bereits die Kriegstrommeln auf dem Balkan zu hören. Das Scheitern des spanischen Sozialisten, der vor vier Jahren antrat, um dem westlichen Bündnis einen zivilen Stempel aufzudrükken, zeichnete sich ab. Ausgerechnet ihm, dem einstigen Pazifisten und unermüdlicher Kämpfer gegen Spaniens Diktator Francisco Franco, fiel die Rolle zu, den ersten Krieg der Nato ohne die Rükkendeckung der UNO zu führen.
Mit freundlichem Lächeln und diplomatischem Händeschütteln begleitet er die Einsätze der Kampfflugzeuge – und tut damit einmal mehr, was er in jahrzehntelanger politischer Arbeit gelernt hat: Aufgaben erfüllen, auch wenn sie unbequem sind.
Die Europäische Union will den Spanier jetzt für diesen Einsatz belohnen. Mister GASP, europäischer Superminister für Außen- und Sicherheitspolitik, soll er werden. Dankbar greift Solana zu. Das Amt befreit den 56jährigen nicht nur von der Verantwortung für einen Krieg. Es könnte ihm in Spanien die verlorene Popularität und damit eine Zukunft in der spanischen Politik zurückgeben.
Ob als 20jähriges Mitglied der verbotenen Studentengewerkschaft FUDE, als 22jähriger in der Untergrundorganisation der sozialistischen PSOE, mit 40 als Regierungssprecher, Solana war nie für Fragen, sondern für Antworten zuständig. „Nieder mit der Diktatur“, schrieb sich der junge Physikstudent aus gutbürgerlichem Hause auf die Fahne. Mehrfach entkam der Abgänger des Madrider Elitegymnasiums Pilar nur knapp den Polizeitruppen. Nach mehreren Abmahnungen durch die Universitätsverwaltung beendete der junge Demokrat seine Studien in England und den USA. Es war die Zeit des Vietnamkrieges. Solana war immer mit dabei, wenn die Kommilitonen ein Ende der Schlächterei forderten.
Zurück in Spanien arbeitete er kurz als Professor für Festkörperphysik, dann rief ihn wieder die Politik. Als Pressesprecher der illegalen PSOE führte Solana Parteichef Felipe González, den Sohn eines andalusischen Viehzüchters, in die hohe hauptstädtische Gesellschaft ein und sammelte zugleich versprengte Linke unter der Fahne der PSOE. Diktator Franco lag im Sterben, die Sozialisten bereiteten sich auf den Übergang zur Demokratie vor. Mit dem Einzug in das erste, wieder frei gewählte spanische Parlament 1977, begann für Solana und Genossen der Weg an die Macht.
Die USA unterstützten bedingungslos Diktator Franco
„Nato – erst einmal nein. Verlangt ein Referendum“, hieß eine der Parolen mit der die PSOE auf Stimmenfang ging. Anders als im restlichen Europa standen die USA in Spanien nicht für die Niederringung des Faschismus, sondern für dessen Kontinuität. Im Tausch für die Eröffnung zweier Militärbasen in den 50er Jahren unterstützte Washington bedingungslos Diktator Franco.
Die Sozialisten machten sich den tiefverwurzelten Antiamerikanismus im Land zunutze. González reiste mit einer Parteidelegation in die UdSSR. Von einer Auflösung der Militärblöcke war im gemeinsamen Abschlußkommuniqué mit der KPdSU die Rede. Auf den großen Festivals für den Frieden Anfang der 80er war den Sozialisten – unter ihnen Solana – der Beifall dafür gewiß.
Doch schon 1982, als die Sozialisten mit zehn Millionen Stimmen in den Regierungspalast Moncloa einzogen, sah die Welt anders aus. Sachzwänge bestimmten jetzt die Politik. Ein EU-Beitritt war ohne Nato-Mitgliedschaft nicht zu haben. Aus dem „erst einmal nein“ wurde ein immer deutlicheres Ja. Als Regierungssprecher von González wußte Solana die neue Antwort auf die alte Frage an die Wählerschaft zu verkaufen. Entgegen allen Umfragen gewann die Regierung bei der Volksabstimmung am 12. März 1986 eine knappe Mehrheit für den Beitritt zum nordatlantischen Bündnis. Solana half, die Nato-Gegner aus dem PSOE-Vorstand zu entfernen.
„Minister für Lächeln und Umarmungen“ nannten Solana seine innerparteilichen Gegner spöttisch. Der joviale Politiker galt ihnen als profillos. Seine Freunde lobten die gleichen Charakterzüge als „Talent zum Ausgleich“.
Nach einem Intermezzo im Bildungsministerium, wo er die Reformen der ersten Regierungsjahre wieder rückgängig machte, kümmerte sich Solana ab Juli 1992 um die Außenpolitik . Als Gastgeber leitete er die im Herbst 1991 eröffnete Nahost-Friedenskonferenz in Madrid, die Jahre später mit dem Abkommen von Oslo zwischen Israel und der PLO enden sollte. In seiner Eigenschaft als EU-Ratsvorsitzender im ersten Halbjahr 1995 lud Solana zur Mittelmeerkonferenz nach Barcelona und fungierte für kurze Zeit auch als europäischer Vermittler im Bosnien-Konflikt.
Solana wußte die internationale Visitenkarte geschickt zu zücken, als die sozialistische Ära in Spanien zu Ende ging. Während sein skandalgebeutelter Chef González auch dann nicht abtrat, als sich die Wahlniederlage abzeichnete, ging Solana als Chef der EU-Komission nach Brüssel und entging so der sicheren Wahlniederlage als Nachfolger von Gonzalez.
1995 suchte die Nato dringend einen Nachfolger für ihren wegen Korruptionsvorwürfen vom Amt zurückgetretenen belgischen Generalsekretär Willy Claes. Unter den sechs Nachfolgekandidaten, über die es damals ein wochenlanges Gezerre gab, stammte zunächst keiner aus einem der fünf Nato-Südstaaten: Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und Türkei. Schließlich brachte der damalige US-Außenminister Warren Christopher den Spanier Solana ins Gespräch. US-Präsident Bill Clinton willigte ein.
Anfang Dezember 1995 trat Solana sein neues Amt in Brüssel an – gerade noch rechtzeitig, bevor die Nato mit der Stationierung der Ifor-Truppen in Bosnien-Herzegowina zwecks Umsetzung des Abkommens von Dayton begann. Diesen Erfolg hatte dem ewigen Politiker aus der zweiten Reihe niemand zugetraut.
Der Mann, der sich als Kind immer strikt geweigert habe, mit den Bleisoldaten seines Bruder Luis zu spielen, verfüge jetzt über die richtigen Spielzeuge, kommentierte die spanische Presse damals Solanas Berufung an die Spitze der Militärallianz.
Für die Nato erwies sich Solana als Glücksfall
Für die Nato erwies sich Solana als Glücksfall. An der Spitze der Militärallianz, deren führende militärische und politische Vertreter seit dem Zusammenbruch von Warschauer Pakt und Sowjetunion die fortgesetzte Existenz des Bündnisses mit antiislamischen Feindbildern zu rechtfertigen suchten, stand nun der Vertreter eines Landes mit engen Beziehungen zu Nordafrika. Das gänzlich unmilitärische und unschneidigeAuftreten von Generalsekretär Solana ließ die in den frühen 90er Jahren von der Nato häufig reklamierte „neue politische Rolle“ glaubhaft erscheinen. Die Öffentlichtkeitsarbeit und Selbstdarstellung der Allianz war in den letzten dreieinhalb Jahren wesentlich bestimmt durch die „Partnerschaftsprogramme“ mit osteuropäischen Staaten und den „Stabilitätspakt“ mit Rußland. Als erster Generalsekretär in der Geschichte der Allinaz machte Solana 1997 mit der ganzen Familie Ferien in einer Datscha außerhalb Moskaus – auf Einladung des russichen Präsidenten Boris Jelzin. Daß die Nato unter Generalsekretär Solana auch ihr neues, auf eine gobale militärische Rolle zielendes Strategiekonzept entwickelte, das inzwischen beim Washingtoner Gipfel Ende April offiziell beschlossen wurde – wurde weitgehend erfolgreich aus der öffentlichen Diskussion in den Mitgiedsstaaten herausgehalten.
Möglicherweise bereits mit Blick auf seine neue Rolle als Mister GASP der EU überließ Solana die Aufgabe, den Luftkrieg der Nato gegen Jugoslawien in der Öffentlichkeit zu verkaufen, in den letzten Wochen, soweit es irgend ging, Jamie Shea und den anderen Nato-Sprechern. Ob Solanas Kalkül, im künftigen Brüsseler Amt seine Zeit als Generalsekretär der Allianz während des Krieges vor allem bei der spanischen Bevölkerung vergessen zu machen, aufgeht, ist allerdings nicht sicher. Bislang war die EU-interne Diskussion um Inhalte und Substanz der GASP, die Solana künftig nach außen vertreten soll, weitgehend auf Sicherheits-und Militärpolitik verengt. Die Schlußfolgerungen, die wichtige EU-Regierungen aus dem „Versagen“ und der „Schwäche“ der Europäer und der „Dominanz“ der USA im Kosovo-Konflikt gezogen haben, haben dies noch verschärft. Die beim Kölner Gipfel gefällten Beschlüsse über eine Europäische „Sicherheits-und Verteidigungsidentität“ machen dies deutlich.
Eigentliches Ziel ist das Amt des Regierungschefs
So wird das Image von Mr GASP während der im Dezember beginnenden Amtszeit von Solana möglicherweise stärker militärisch geprägt werden, als das Image des Nato-Generalsekretärs vom Dezember 1995 bis zum Beginn des Nato-Luftkrieges gegen Restjugoslawien im März 1999.
Von der Tageszeitung El Pais nach Solanas schlechtestem Charakterzug befragt, antwortet einer seiner engsten Freunde, ohne zu zögern: „Er interessiert sich ausschließlich für seine politische Karriere.“ Und diese hat für Solana spätestens seit Anfang der 90er Jahre, als alle Welt begann, ihn als Nachfolger von Gonzáez zu handeln, einen Endpunkt: das Amt des spanischen Regierungschefs. Doch dies scheint heute unerreichbarer denn je.
Auch wenn die Spanier bei Kriegsbeginn mehrheitlich für die Bombardierung Jugoslawiens waren, daß ausgerechnet einer ihrer Landsleute Hand in Hand mit den USA die Operation führt, das will nur wenigen gefallen. „Solana – basura americana“ – „Solana – amerikanischer Müll“ riefen am 1. Mai viele derer, die ihm einst als sozialistischen Abgeordneten ihr Vertrauen geschenkt hatten. Eine erfolgreiche Amtszeit als Mister GASP könnte Solanas Ruf wieder aufbessern.
Doch an eine solche Wiedergeburt will der spanische Schriftsteller Francisco Umbral nicht glauben. Als bekannt wurde, daß Solana Mr GASP werden sollte, meinte er dazu: „Javier Solana ist zwar noch kein toter Fisch. Aber er lernt schon mal, an der Oberfläche zu schwimmen.“
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