: Der Fahrplan zum Frieden im Kosovo
■ In mühsamen Verhandlungen wurden die Standpunkte der Nato, Rußlands und Belgrads auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Tschernomyrdin und Ahtisaari legten in Belgrad ein Dokument vor, das noch Lücken aufweist
Berlin (taz) – Wiktor Tschernomyrdin ließ am zentralen Punkt seiner Mission nach Belgrad keinen Zweifel: „Die Entscheidung muß in erster Linie von der jugoslawischen Führung getroffen werden“, sagte der russische Unterhändler am Mittwoch abend nach der ersten Gesprächsrunde mit Präsident Slobodan Miloevic. Für Miloevic sei es eine „harte Entscheidung“, ob er dem Friedensplan des Westens zustimme, räumte Tschernomyrdin ein. Doch es gebe eine realistische Chance, den Krieg zu beenden. Seit gestern mittag ist klar: Miloevic hat sich ebenso für ein Ja zu dem Friedensplan entschieden wie das jugoslawische Parlament.
Während der jugoslawische Staatschef am Abend mit seinen Beratern über das Dokument sprach, waren die Luftangriffe der Nato mit unverminderter Härte fortgesetzt worden, wobei sie sich erneut auf das Grenzgebiet des Kosovo zu Albanien konzentrierten. Belgrad wurde verschont, doch in Tschernomyrdins Hotel fiel in der Nacht der Strom aus.
Dem von Miloevic gebilligten Zwölfpunkteplan zufolge soll zunächst die Gewalt im Kosovo beendet werden und der Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo beginnen. Er muß für einen substantiellen Zeitraum verifiziert worden sein. Innerhalb von 48 Stunden sollen die Flugabwehrsysteme, innerhalb von sieben Tagen alle serbischen Einheiten aus dem Kosovo abgezogen sein. Möglichst rasch danach wird die internationale Friedenstruppe ins Kosovo einrücken. Erst danach sollen die Luftangriffe der Nato unterbrochen werden, und als letzter Punkt ist die Verabschiedung einer Resolution im UN-Sicherheitsrat vorgesehen.
Diese Abfolge unterstrich Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) gestern in Bonn, als er sagte, Bedingung für die Einstellung der Luftangriffe sei ein nachprüfbarer Abzug der serbischen Kampftruppen. Rußland verlangte als ersten Schritt ein Ende der Bombardements.
Auf dem EU-Gipfel in Köln hieß es, im Falle einer Annahme des Friedensplans könnten die Außenminister der G-8-Staaten bereits in der nächsten Woche die Eckpunkte einer UN-Sicherheitsresolution verabschieden. Danach solle der Sicherheitsrat die Resolution beschließen. Dann würden die 30 Staaten, die sich an einer Kosovo-Truppe beteiligen wollten, aufgefordert, die zugesagten Einheiten bereitzustellen. Schlußendlich werde die Nato ihre Vorstellungen über die konkreten Befehlsstrukturen vorbringen.
Ahtisaari und Tschernomyrdin, legten in Belgrad einen gemeinsamen Entwurf vor, obwohl noch nicht alle Differenzen zwischen den Positionen Rußlands und der EU beziehungsweise der Nato ausgeräumt werden konnten.
Am deutlichsten wurde dies bei den Erläuterungen der beiden Unterhändler über das Kommando der 48.000 Mann starken Friedenstruppe. Nato-Truppen müßten den „Kern“ einer solchen Friedenstruppe bilden, hatten vor allem die USA immer gefordert. Erwachsen war diese Forderung aus den Erfahrungen mit den verschiedenen UN-Friedenstruppen in Bosnien, die so unzureichend bewaffnet waren, daß einzelne Soldaten wiederholt zu Geiseln des serbischen Militärs wurden, oder als UN-peacekeeper tatenlos zusehen mußten, wie in der UN-Schutzzone Srebrenica serbische Einheiten Hunderte bosnische Männer verschleppte.
Rußland bestand lange auf einem Kommando der UN, während Belgrad gar verlangte, daß an einer Friedenstruppe keinerlei Soldaten aus den Ländern beteiligt sein dürften, die an den Bombardements teilgenommen hatten – also vor allem nicht aus den USA, Frankreich und Großbritannien. Sie dürfe nur leicht bewaffnet sein.
Zweiter Konfliktpunkt: Tschernomyrdin sagte vor dem Abflug nach Belgrad, man wolle die Einheiten der Nato und Rußlands innerhalb der geplanten Friedenstruppe sowie ihr Oberkommando trennen und, so hieß es zuvor wiederholt, in unterschiedlichen Teilen des Kosovo stationieren.
Auf dem EU-Gipfel in Köln ließen hingegen EU-Diplomaten durchsickern, der Friedensplan enthalte eine gemeinsame Kommandostruktur. Die Nato werde sich aber allein schon als größter Truppensteller das Kommando von keiner anderen Seite aus der Hand nehmen lassen, sagten die Diplomaten laut dpa.
Der britische Premierminister Tony Blair kommentierte diese Kontroverse auf dem EU-Gipfel mit den Worten, die Nato werde zwar auf russische Bedenken bei der Bildung der Kosovo-Friedenstruppe Rücksicht nehmen. „Aber es muß eine einheitliche Befehlskette geben“, sagte Blair. Die von Tschernomyrdin vorgesehene getrennte Entsendung von russischen Truppen würde auf eine faktische Teilung des Kosovos hinauslaufen.
Auch der kosovarische Premierminister Hashim Thaci lehnte „die Idee getrennter Zonen der internationalen Streitmacht“ strikt ab. Auf jeden Fall müßten in von Rußland kommandierten Zonen auch Nato-Soldaten stationiert sein, sagte Thaci. Unklar ist bislang, wie die Übergangsverwaltung für das Kosovo nach einer Rückkehr der Flüchtlinge organisiert werden soll, unklar ist auch die Zukunft der Befreiungsarmee UÇK. Stefan Schaaf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen