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„Ach, Dichter...“

■ Das Lesen der Bohème: In Prenzlauer Berg startet die Zweite Literaturwoche

Dichter sind ja eher zarte Pflänzchen. Fragen Sie mal rum in den Bibliotheken und Buchhandlungen am Prenzlauer Berg; die kennen sich damit aus. Da stehen sie oft, die Poeten, heißen Papenfuß, Wawerzinek oder so und kommen aus dem Norden. Aber der Seebärenblick täuscht, in der Seele sieht es anders aus. Und Dichtung ist ja Seele. Die drängt nach draußen, wie das mondsüchtige Peterchen, um dort fürchterlich zu frieren, nicht wahr?

Am Prenzlauer Berg in den Kneipen finden sie sich dann manchmal noch zusammen, alle ziemlich kultiviert, auch wenn sie sich das natürlich nicht anmerken lassen wollen. „Ach, Dichter“, sagen dann die Menschen rundum, wenn die Stimmen abends, nach dem vielen Schreiben, auch einmal lauter werden müssen. Und schön wie die Dichtung selbst ist es, wenn eine am Rande zu reden anfängt, leise, um das gequälte Dichtergegröhl nicht zu stören, und wenn sie dann sagt: „Die sind alle total kultiviert. Aber natürlich ist jeder der beste und eigentlich auch nur der einzige hier. Deswegen müssen sie auch mal laut werden. Sonst könnten sie doch gar nicht weiterschreiben, nicht wahr?“ Eine kleine Atempause, vielleicht fehlt noch der Satz: “Jeder ist ja ganz anders.“ „Ach“, denkt dann, wer fremd ist am Prenzlauer Berg. Das klingt vielleicht nicht so modern in der eigenen Seele nach, hat aber auch etwas mit Dichtung zu tun.

Jetzt ist der Sommer da, und in acht Tagen, zum Abschluß der „2.Literaturwoche“ vom Prenzlauer Berg, stehen die Prenzlberg-Poeten wieder gemeinsam im Wolkenbügel und lesen und trinken Bier. „Hoffentlich wird‘s nicht nur bierernst“, sagt die Mama der Dichterfamilie, Ingeborg Quaas, die im Kulturamt die nötigen Lesungsgroschen verteilt. Alle hat sie wieder beisammen: Peter Wawerzinek („Die Dichter, welche er schätzte, waren weniger darauf aus, sich fortwährend das Haar hinters Ohr zu streichen“), die vielgerühmte Kathrin Schmidt, und Ulrike Draesner aus München ist jetzt ja auch hierher gezogen und gleich dabei, Eberhard Haefner kennt man schon lange, und Bert Papenfuß, der Held, singt die Nationalhymne vom Prenzlauer Berg: “Wir waren in stirners haufen marschiert/ & waren die söhne der nacht/ wir sind in kronstadt & prenzlauer berg krepiert/ auf dem kollwitzplatz schliff uns die ohnmacht/ wir waren verlaust, vertiert & verdreckt/ & waren des stirners regeneraten“. Alle zusammen, zehn Dichter aus Prenzlberg – nur den Thomas Kapielski aus Neukölln hat Ingeborg Quaas diesmal vergessen, „oh, wie doof!“ – lesen am Samstag, den 12. Juni, ab 21 Uhr im Wolkenbügel. Zuvor stehen der 2. Literaturwoche vom Prenzlauer Berg noch die Mühen der Ebene ins Haus. Am morgigen Sonntag zieht ab 11 Uhr der Markt der Buchhandlungen, Verlage und Antiquariate in die Wörtherstraße; 22 Buchverkäufer an der Zahl. Im Herbst waren‘s mehr. Aber die Antiquariate bevorzugen dieTrödelmärkte, und auch Rainer Schedlinski („Früher hatte ich 150 Lesungen jährlich; seit 1992 keine einzige“) vom Verlag Galrev fand keinen, der sich sonntags da hinstellen wollte.

In der Woche drauf, von Montag, den 7. Juni, bis Donnerstag, den 10., lesen zur Einstimmung die alten Herrschaften: Wolfgang Engler in der Kollwitzbuchhandlung, Michael Wildenhain in der Bibliothek am Wasserturm, Klaus Schlesinger in der Bibliothek Senefelderstraße, Alexander Osang in der Tucholsky Bibliothek und Horst Bosetzky in der Bibliothek Schivelbeiner Straße.

Fritz von Klinggräff

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