„Der Westen ist in die Balkan-Falle gegangen“

■ Vojin Dimitrijevic, einer der Köpfe der serbischen Opposition, über den Friedensplan der G-8-Staaten, den Nationalismus der Opposition und die politische Zukunft Milosevics

Vojin Dimitrijevic ist Direktor des Belgrader Menschenrechtszentrums. Im letzten Herbst verlor er aus politischen Gründen seine Professur für Völkerrecht an der Belgrader Universität. Das Gespräch wurde am Rande einer Tagung in Freiburg geführt.

taz: Warum hat Milosevic gerade jetzt dem G-8-Friedensplan zugestimmt?

Dimitrijevic: Milosevic ist ein guter Taktiker, aber ein schlechter Stratege. Er sieht erst jetzt, daß er die falsche Entscheidung getroffen hat. Jetzt will er seine Macht in Serbien retten und sicherstellen, daß seine Freunde auch an den vom Westen versprochenen Balkan-Hilfen verdienen können.

Wird sich Milosevic an die jetzt gemachten Zusagen halten?

Bei der Interpretation der Details wird es noch viele Schwierigkeiten geben, da sollte sich der Westen nichts vormachen. Es ist ein alter kommunistischer Trick, besonders hinhaltend zu verhandeln, damit der Gegner glaubt, eine Zustimmung sei dann auch wirklich ernst gemeint.

Die Radikalen unter Seselj haben im Parlament gegen den Friedensplan gestimmt. Können die Ultranationalisten von der neuen Situation profitieren?

Ich halte dies für ein abgekartetes Spiel. Milosevic schiebt Seselj immer wieder vor, um dem Westen zu zeigen, wie moderat und berechenbar er, Milosevic, doch ist.

Ist das serbische Nachgeben Reaktion auf die Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung?

Nein, die Leute sind zwar müde und apathisch, aber innenpolitische Gefahr drohte noch nicht.

Was ist mit den Demonstrationen und Desertionen in den Städten Krusevac und Aleksandrova ?

Diese Vorfälle sind im Westen mißverstanden worden. Das waren keine Anti-Kriegs- Demonstrationen. Vielmehr richtete sich der Protest dagegen, daß die Söhne der einfachen Leute in den Kosovo geschickt wurden, während diejenigen der örtlichen sozialistischen Spitzen angeblich zu Hause bleiben konnten.

Soll der Westen überhaupt noch mit Milosevic verhandeln? Immerhin wurde er beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag als Kriegsverbrecher angeklagt.

Eine Anklage ist noch kein Urteil. Auch im internationalen Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung. Im Prinzip unterstütze ich den Strafgerichtshof. Der Westen sollte aber nicht glauben, daß diese Anklage die serbische Bevölkerung beeindruckt. Sie macht Slobodan Milosevic eher zum Märtyrer.

Warum? Das Gericht und seine Anklägerin Louise Arbour sind doch vom UN-Sicherheitsrat eingesetzt worden und agieren völlig unabhängig.

80 Prozent der Serben halten das Gericht für eine anti-serbische Einrichtung. Das könnte sich nur ändern, wenn auch die Kriegsverbrechen der Nato dort untersucht würden.

Ist das Gericht denn dafür zuständig?

Natürlich. Es soll alle Verletzungen des humanitären Völkerrechts verfolgen, die seit 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien stattfanden. Ich weiß, daß einige kanadische Professoren einen sehr gründlichen Schriftsatz gegen die Nato bei Louise Arbour eingereicht haben. Darauf muß sie nun reagieren, wenn das Gericht an Glaubwürdigkeit gewinnen will.

Was könnte nach Milosevic kommen? Wichtige Teile der serbischen Opposition sind doch kaum weniger nationalistisch.

Manche sind wirklich nationalistisch, und andere versuchen nur gelegentlich, so zu wirken. Das hat aber etwas mit Demokratie zu tun. Wenn der Großteil der Wähler nationalistisch denkt, dann muß darauf Rücksicht genommen werden. Die Wahlen werden eben in Serbien gewonnen, nicht im Westen. In Kroatien sind die Politiker übrigens genauso nationalistisch, aber daran stört sich im Westen niemand, weil sich die Kroaten prowestlich und anti-kommunistisch geben.

Was wünschen Sie sich als serbischer Antinationalist vom Westen?

Daß der Bombenkrieg gegen die ohnmächtige serbische Bevölkerung aufhört und daß der Westen sich mehr für die Demokratie in Serbien einsetzt. Aber der Westen ist mal wieder in die Balkanfalle gegangen und stellt sich auf die Seite der „guten“ Völker gegen die Mitglieder der „schlechten“ Völker. Wie aber kann eine ethnische Mehrheit der ethnischen Minderheit Rechte einräumen, wenn die Menschen, die zur Mehrheit gehören, selbst keine Rechte haben? Interview: Christian Rath