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Es kann nur einen geben

■ Oliver Bierhoff erarbeitet sich drei Tore gegen Moldawien, erregt aber mit rationalem Professionalismus kaum Emotionen bei der Kundschaft

Leverkusen (taz) – Der Oliver ist bekanntlich ein Unternehmersohn. Und den Dr. Schneider kennt er schon, seit er sooo klein war. Jedenfalls: Traf der Vorstandsvorsitzende der Bayer AG den Oliver vergangene Woche wieder und sagte zu ihm: Junge, vergiß doch, daß die Leute die halbe Saison an dir rumgemäkelt haben. Aus Erfahrung wisse er: „Wenn am Ende des Jahres Bilanz gezogen wird, und es ist ein Überschuß da, sind alle zufrieden.“

In Leverkusen hat der Fußballprofi Oliver Bierhoff (31) also seine Bilanz-Pressekonferenz abgehalten und dabei folgende Aktiva aufführen können: die italienische Meisterschaft mit dem AC Mailand, seine erste überhaupt, 20 Saisontreffer in der Serie A, und zuletzt beim 6:1 über Moldawien im letzten EM-Qualifikationsspiel vor der Sommerpause drei Tore geschossen, im „besten Spiel des Jahres überhaupt“, wie Bierhoff findet, „mag mal dahingestellt sein, ob das ein großer Gegner ist.“

Ergo: „Es war kein leichtes Jahr.“ Die italienische Fachpresse hat Bierhoff in seinem ersten Jahr bei Milan in der Mangel gehabt. Und in Deutschland hat Bild den DFB-Kapitän als Ersatz für das verlorengegangene Feindbild Jürgen Klinsmann entdeckt. Also hat man Bierhoff und die Leser nach alter Väter Sitte immer schön auf dem neuesten Stand gehalten, was die Minuten ohne Länderspieltor betrifft. Was da addiert werden durfte, ist allerdings nicht besonders beeindruckend bzw. furchtbar (384). Trotzdem sah man nach Bierhoffs 1:0 die Erleichterung sich in seltsamen Jubelsprüngen ausdrücken. Über das Tor und den Gegner (Nr. 100 der Fifa-Weltrangliste), der das Mittelfeld vernachlässigte und hinten trotz Libero und vier Manndeckern dem Tempo der deutschen Kombinationen nicht gewachsen war. Fast alle Tore fielen nach dem 1-2-3-Schema: Individueller Vorstoß gen Strafraum, Ablage oder Paß, Tor.

Das gelingt gegen organisierte Teams eher selten, wie gegen die auch ein Angreifen mit zwei Flügel- und zwei Strafraumstürmern nicht unbedingt zu empfehlen ist. Die Diskussion kennt Bierhoff aus Mailand. „Wichtig ist“, sagt er, „wie man spielt.“ Genauso wie demKollegen Ulf Kirsten mißfiel ihm, daß die Außen wegen der moldawischen Angriffsschwäche zu häufig auf einer Linie mit den Innenstürmern auf den Ball warteten, wodurch es „vorne ein bißchen eng wurde“ (Kirsten) und „zu statisch“ (Bierhoff). Wie es aussieht, glaubt keiner so recht, daß Ribbecks Modifikation (2-4-4) des eben glücklich von Bayern ausgeliehenen 3-4-3 Zukunft haben könnte, weil es, wie nicht nur Flügelspieler Marco Bode aufgefallen ist, „gegen stärkere Gegner sehr schwer wird, die Räume hinten eng zu bekommen“.

Kirsten und Bierhoff haben sich in ihren gemeinsamen 50 Minuten, sagt letzterer, immerhin „nicht auf den Füßen gestanden“, wie allerorten befürchtet worden war, sondern sich sogar gegenseitig je ein Tor aufgelegt. Dennoch kann man davon ausgehen, daß es auch künftig heißt: Es kann nur einen geben. Kirsten (33) hat nun in 44 DFB-Spielen 17 Tore aufzuweisen (0,38 pro Spiel), Bierhoff 24 in 40 (0,6). In Italien hat er fast ausschließlich mit seinem hervorragenden Kopfballspiel Tore erzielt, gegen Moldawien alle drei mit den Füßen, und zwar so selbstverständlich, als tue er nie etwas anderes.

Drei Tore durch einen DFB- Spieler in einem Spiel, das kam zuletzt 1997 vor, in der WM-Qualifikation gegen Nordirland. Torschütze: Bierhoff. Machart: alle mit den Füßen. Unterschied: „Damals habe ich nicht so lange gebraucht.“ Nur ein paar Minuten. Danach begann man auch in Deutschland langsam, den mit italienischem Know-how arbeitenden Stürmer als Weltklassespieler zu rezipieren und sein Spiel zu begreifen. „Spielfreude“, wie Mehmet Scholl sie bei seinem Comeback ausdrückte, ist Bierhoff nicht anzusehen. Aber die Ernsthaftigkeit, mit der er seiner Arbeit nachgeht. Deshalb weckt seine schmucklose, rein funktionale Tätigkeit auch kaum Emotionen bei den Zuschauern. Scholls Kunststückchen zum 5:1 bewegte die Leute weit mehr als Bierhoffs Hattrick.

Natürlich sieht Bierhoff auch, daß er im Moment hauptsächlich die Platzwahl machen darf, aber nicht derjenige ist, dessen moderne Qualitäten auf und neben dem Rasen stilbildend wirken. Das Gesicht des DFB-Teams ist aus Zufall oder auch prinzipiellen Verbandserwägungen der Anachronismus Matthäus. Dennoch lobt er dessen bedingungslosen Helfer Ribbeck, der ihn stets habe fühlen lassen, „daß ich sein Kapitän bin“.

Wahrscheinlich sieht er genau, daß die Chance in diesen mediokren Tagen eh gering ist, die historische Ruhmreihe Walter, Seeler, Beckenbauer und Klinsmann zu erweitern. Er glaubt immerhin zu merken, „daß eine Mannschaft zusammenwächst“, um die Stammspieler Kahn, Matthäus, Nowotny, Hamann, Jeremies, den in seiner Art einzigen Oliver Neuville und ihn selbst. Ein „durchwachsenes Jahr“ nennt Bierhoff die DFB-Saison mit „sehr enttäuschenden Freundschaftsspielen“ (u. a. 0:3 gegen USA, 0:1 gegen Schottland), aber „zufriedenstellender EM-Qualifikation“. Ein Sieg gegen die Türken noch, und das Maximalziel EM-Qualifikation ist erreicht. Die Tendenz sei, sagt er: „Es geht ein bißchen aufwärts.“

Was seine drei Tore betrifft, so machen ihn die nicht besoffen, er erzählt auch nicht groß, wie er sie geschossen hat. Er zählt sie lieber rational zusammen. Daß er ungefragt berichtet, was ihm ein Vorstandsvorsitzender geraten hat, und nicht ein Trainer oder Platzwart, ist eben kein Zufall, sondern Ausdruck seines Verständnisses vom Fußball. Also: Sein Fußballjahr ist zu Ende, und der Unternehmer Oliver Bierhoff kann für das Unternehmen Oliver Bierhoff „eine positive Bilanz ziehen“. pu

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