: Nazi-Unrecht zu Unrecht erklären
Hamburger GAL und SPD wollen NS-Urteile gegen Homosexuelle für nichtig erklären lassen. Bundesratsinitiative angekündigt ■ Von Judith Weber
Ein neugieriger Nachbar oder ein geschwätziger Hotelportier konnten den Tod bedeuten, 1938 im nationalsozialistisch regierten Hamburg. Innerhalb eines Jahres wurden 268 Männer wegen „homosexueller Handlungen“ angeklagt; 239 von ihnen landeten in Gefängnissen oder Konzentrationslagern. Wie viele Schwule die Nazis in der Hansestadt bis 1945 insgesamt verurteilten, ist unklar. „Wir gehen von 3500 bis 5000 aus“, schätzt Lutz Kretschmann, SPD-Abgeordneter in der Bürgerschaft.
Gemeinsam mit dem GALier Farid Müller will er nun erreichen, daß die Urteile für nichtig erklärt werden. Die rot-grünen Hamburger Regierungsparteien wollen eine Bundesratsinitiative starten, um die gegen Schwule verhängten Strafen in das „NS-Unrechtsaufhebungsgesetz“ aufzunehmen. Morgen wird die Bürgerschaft einen entsprechenden Antrag annehmen.
„Hamburg hat den homosexuellen Opfern der NS-Zeit gegenüber eine besondere Verpflichtung“, erklärte Müller gestern, „denn hier war die Verfolgung besonders konsequent.“ Eine Dokumentation der Justizbehörde kommt zu dem Schluß, daß in der Hansestadt „eine rücksichtslos akribische Strafverfolgung von Homosexuellen“ stattgefunden habe. Die Gestapo zwang Schwule, in Verhören die Namen ihrer Liebhaber preiszugeben und machte Razzien in Betrieben. Die Justiz, so die Dokumentation, sei dabei „ein williges und effektives Vollzugsorgan“ gewesen.
Besonders schlimm wurde es nach 1935. In diesem Jahr verschärften die Nazis den Homosexualitäts-Paragraphen 175; fortan war schon die „wollüstige Absicht“ eines Homosexuellen Grund genug für eine Verurteilung. „Da ist die Verfolgung sprunghaft angestiegen“, berichtet Kretschmann. In den Konzentrationslagern mußten die Schwulen rosa Winkel auf ihrer Kleidung tragen. Lesben bekamen einen schwarzen Winkel. Die Frauen wurden zwar nicht wegen Homosexualität angeklagt, aber wegen anderer Delikte verurteilt.
Zufrieden ob des Hamburger Vorstoßes zeigte sich gestern der Kunsthistoriker Christian Adolf Isermeyer, der lange in der Hansestadt unterrichtet hat. Er hatte schon 1963 in einer Petition an den Bundestag die Abschaffung des Paragraphen 175 gefordert. Das von den Nazis übernommene Gesetz blieb jedoch bis 1994 bestehen.
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