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Nähmaschine Gottes

Auf Neßsand läßt sich beobachten, was das Mühlenberger Loch so schützenswert macht  ■ Von Gernot Knödler

Die Schilder, die BesucherInnen von der Elbinsel Neßsand fernhalten sollen, sind besonders stabil gebaut: Umrahmt von starken Stahlrohren, stecken sie in 1,50 Meter Tiefe in Betonklötzen, damit sie von der nächsten Sturmflut nicht weggerissen werden. „Das einzige, was hier Bestand hat, ist die Dynamik“, sagt Andreas Eggers von der Umweltbehörde. Diese Dynamik des auf- und ablaufenden Süßwassers ist es, die Neßsand zu einem so besonderen Lebensraum macht. Und aus diesem Grund bleibt die Insel auch dem großen Besucherstrom verschlossen.

Wer auf die Insel am Rande des Mühlenberger Lochs kommen will, muß das im eigenen Boot tun und extreme Rücksicht auf die fragile Natur nehmen. „Wenn hier Leute herumgelaufen sind, kann man das noch nach Monaten sehen“, sagt der Biologe Eggers, weshalb die Besuchergruppe im Gänsemarsch hinter ihm über den Trockenrasen im Zentrum der Insel trabt.

Auf Schritt und Tritt lebt und west es auf dem kargen Boden: Trichterspinnen haben ihre dichten Netze wie umgedrehte Zirkusdächer ausgespannt. Reglos sitzen gut getarnte Zauneidechsen zwischen Hungerblümchen und Sandsegge.

Das Hungerblümchen hat seinen Spitznamen, weil es fast nichts braucht zum Leben. „Deswegen sieht es auch so mickerig aus“, sagt Eggers. Über die Sandsegge spotten Botaniker auch als „Nähmaschine Gottes“, weil die Pflanze auf einer geraden Linie immer wieder aus dem Boden schießt.

Wie die Eidechsen bei Sturmflut überleben, wenn Neßsand bis auf die Warft, auf der die Radarstation steht, überflutet wird, ist auch Eggers „nicht ganz klar“. Alle anderen Viecher, die gut genug zu Fuß sind versammeln sich bei Sturmflut auf der Warft und tun einander in dieser Katastrophenzeit angeblich nichts zuleide. Mitten auf dem Trockenrasen zeugt ein einsames Kinderwagenrad von dem, was die Flut so mit sich bringt.

Nach Süden dringt die Besucherkolonne in ein Stück Hartholz-Auenwald. Weil die Deiche immer näher an die Elbe heranrückten, fehle solchen Wäldern zunehmend der Platz, erläutert Eggers. Zwischen Schwarzerlen, Eschen und Stieleichen hindurch geht es ans Ufer, dorthin, wo es das gibt, was anderswo auch das Mühlenberger Loch so schützenswert macht: ein Süßwasserwatt, Löffelenten, Tideröhricht und den Schierlings-Wasserfenchel.

Letzterer ist gar nicht leicht zu erkennen. „Der sieht aus wie eine groß gewordene Petersilie“, sagt Biologe Eggers. Noch unscheinbarer ist bloß die zweite Pflanzenart auf Neßsand, die lediglich an der Unterelbe im Raum Hamburg vorkommt: die Wiebelschmiele, die aussieht wie ganz normales Gras. „Es ist schwierig zu vermitteln, daß diese Pflanzen geschützt werden müssen“, sagt Eggers. Obwohl Schutz bitter not tut: Vom Schierlings-Wasserfenchel gibt es nur noch 1000 Exemplare – ebensowenige wie Panda-Bären.

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