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Seelenbeistand für Befehlsempfänger

■ Mangels John Philip Sousas „Stars und Stripes“ für Nato-Zwecke nur bedingt einsetzbar: Ein Sampler zeugt von der ungebrochenen Aktualität der Marschmusik

Seit Königgrätz, anno 1866, ist die Marschmusik von den Schlachtfeldern verbannt. Und selbst in Makedonien sitzt „unsere Truppe“ ohne Pauken und Trompeten da, versichert der Sprecher der Streitkräfte. Die neue CD des mecklenburgischen Heeresmusikkorps 14 aber zeugt gleichwohl von der ungebrochenen Aktualität der Marschmusik.

Der Orden der türkischen Bektaschi-Derwische hatte den modernen Marsch im 17. Jahrhundert nach Europa gebracht, zwischen Chlum und Sadowa nahm es 200 Jahre später sein Ende mit ihm. Da waren die Österreicher mit einem auf Dauer gestellten Radetzky-Marsch und zwei Deziliter Rum in die Schlacht gezogen und hatten sich unter dem Zündnadelfeuer der Preußen zum Sterben gelegt. „Piefke, das vergesse ich Ihnen nicht“, murmelte damals Preußens König Wilhelm I. Sein Stabsoboist Gottfried Piefke hatte – fortschrittlicher als der tumbe Österreicher – seinen Preußenmarsch allein für den Kriegsherren intoniert, den darob auf seiner Anhöhe erneut das Selbstvertrauen ergriff.

Seitdem ist der Marsch von der massenpsychologischen Gebrauchsmusik zum kunstvollen Seelenbeistand für Befehlsträger emporgestiegen. Nur einmal noch, bei der „Strafexpedition gegen das infame Serbien“ 1914, sollte die k. u. k-Kriegsmaschinerie ihre Militärmusik für wenige Monate aus den Ballsälen zurückholen – mit mäßigem Erfolg, wie man weiß. Noch also wird es einige Jahre brauchen, bis im Gefolge humanitärer Zielgenauigkeit die musikalische Bodentruppe aus ihrem Abseits zwischen Kunst- und Unterhaltungsmusik hinausfindet.

Dabei ist der Wert eines flotten Estradengalopps für die Moral einer Apache-Besatzung sicher kaum geringer zu schätzen als zu Husarenzeiten. In der weltbürgerlichen Umlaufbahn unseres zerfurchten Fischer-Scharping-Gestirns könnte er sehr wohl zu neuen Ehren finden – gibt es doch auf diesem Erdball noch so manches Gute zu tun. Vorbildlich sind da die Aufnahmen des mecklenburgischen Heeresmusikkorps 14 unter der Leitung von Major Lutz Bammler. Was ein selbstbewußtes Europa der Regionen zu vollbringen vermag: Hier wird es exemplarisch durchexerziert. Denn nicht nur dem jungen Panzergrenadier geht der alte Kavalleriemarsch noch in die Knochen. 92mal Aussitzen in der Minute sollte wohl auch dem sitzfesten Hubschrauberpiloten möglich sein. Das Tempo ist hurtig, ohne daß die Übersicht verlorenzugehen droht. Gelobt werden möchte auch die preußisch-böhmische Mischung des Samplers, in der gerade die frischen Nato-Staaten aus dem Osten sich wiederzufinden vermögen. Es zeugt von Feingefühl, daß dieses eine Mal auf den Radetzky-Marsch des neutralistischen Österreich verzichtet wurde. Gleichwohl ist Bammlers Einspielung mangels amerikanischer Märsche zu Nato-Zwecken nur bedingt verwendbar. Es fehlt „The Washington Post“, es fehlt insbesondere John Philip Sousas „Stars and Stripes forever“. Das Repertoire des jungen Neubrandenburger Heeresmusikkorps zeugt von dem neuerwachten europäischen Selbstbewußtsein der Fischer-Miloevic-Ära. Fritz v. Klinggräff

Heeresmusikkorps 14 unter der Leitung von Lutz Bammler: Mecklenburger Land (CD 5778, Tonstudio Amos)

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