piwik no script img

Die Schafskälte beginnt

Unter viel Geblöke werden derzeit die Heidschnucken geschoren. Ihr Winterkleid geht in die Teppichfabrik  ■ Von Karin Ridegh-Hamburg

Für die Heidschnucken des Vereins Naturschutzpark in der Lüneburger Heide kann der Sommer beginnen. Unter viel Geblöke wird den rund 1250 Tieren derzeit in ihren Ställen am Tütsberg bei Niederhaverbeck und Wilsede im Kreis Soltau-Fallingbostel das lange, zottelige, grau-braune Fell geschoren. Die Wolle der vom europäischen Wildschaf, dem Mufflon, abstammenden Heidschnucke ist jedoch nur noch Pfennige wert. Außer als Beimischung für Teppiche, so erklärt Jens Tönnießen vom Verein, werde sie zunehmend auch als baubiologischer Dämmstoff verwendet.

Die siebenköpfige Schererkolonne aus Polen hat Routine: Mit lautem „Ho, Ho, Ho“ treiben Helfer die Schnucken aus den Boxen den Männern zu. Elektrische Schermesser, die aussehen wie überdimensionale Rasierapparate, hängen an Kabeln vom Balken herunter. Da hilft auch so mancher Bocksprung nichts mehr und auch kein Gezeter. Die Männer müssen enorme Kraft aufwenden, um die Tiere an Horn und Hinterbein gepackt auf einen Schemel unter dem Rasierer zu setzen. Der Scherer hält die Schnucke zwischen den Knien. Zwei bis drei Minuten dauert die Schur von Kopf bis Schwanz, dann liegt das 1,6 Kilogramm schwere Winterkleid des Tiers am Boden.

Erstaunlich geduldig nehmen die „Graugehörnten“ das hin. „Sitzen sie erst auf ihrem Hinterteil und haben die Beine in der Luft, dann können sie nichts mehr machen“, sagt Schäfer Uwe Storm. Zufrieden schaut er seinen 350 Muttertieren hinterher, als sie gut zwei Stunden später laut meckernd den Stall verlassen. „Mindestens eine halbe Stunde dauert es, bis die Lämmer ihre Mütter wiedergefunden haben“, sagt Storm. Denn bisher erkannten die Kleinen das Mutterschaf am Geruch des Fells. „Das ist nach der Schur schwieriger.“ Seit sechs Jahren ist Storm Schäfer. Zehn Stunden täglich zieht er mit seiner Herde durch die Heide, um das Kraut durch den Verbiß zu pflegen.

„Das Schnuckenhaar ist fast dreimal so dick wie das eines Merino-Schafes und läßt sich kaum färben“, sagt Tönnießen. Für den Verein Naturschutzpark sei die Schur ein Zusatzgeschäft. Doch aus tierpflegerischen Gründen ist sie erforderlich, denn sonst setzen sich Flöhe und Sandläuse in den verfilzten Pelz. Weil die kühlen Tage im Juni nach der Schur so manchen vierbeinigen Wollelieferanten zum Frieren bringen, werden sie im Volksmund auch „Schafskälte“ genannt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen