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Schuld sind Wähler, Kosovo, Bundis

■ Zur ersten Mitgliederversammlung seit der Wahlniederlage trafen sich am Mittwoch abend die Bremer Grünen

„Wir haben die Hegemonie in etlichen Themen verloren“ sprach Rainer Oellerrich-Boehme am Ende seiner Wahlanalyse. Der Geschäftsführer der Grünen-Fraktion hatte noch einmal bekannte und unbekanntere Daten auf den Tisch gelegt: Seit 1995 haben die Grünen 19.000 Wähler in Bremen und Bremerhaven verloren. Erstmals haben die Grünen nicht von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitiert. 8.000 der früheren Wähler sind zu Hause geblieben. Nur in Osterholz und Bremerhavens Weddewarden gab es Zuwächse, die auf Grünen-politik zurückzuführen seien (Bürgerinitiativen gegen Bauprojekte). Insgesamt aber: „Dort, wo wir mal die Möglichkeit hatten, etwas zu bewegen, sind wir eingebrochen“.

Die 100köpfige Grünen-Gemeinde, die in der Mensa der Hochschule zusammengekommen war, hörte und schwieg. Das Wort ergriff dann nicht die Basis, sondern die Altvorderen. Die Kritik an der Wahlniederlage fiel entsprechend verhalten aus. Kosovo – Bundespolitik – Unterschätzung der Gestaltungskraft durch die Wähler: So lautete der Dreiklang der Erklärungsversuche den ganzen Abend lang. Von „Neuanfang“ und „Chance“ war da die Rede, die einen wollten sich jetzt “mehr zur Mitte hin“ orientieren, die anderen würden das Heil in einer „Rückbesinnung auf die alten Themen, aber mit einer Neubuchstabierung“ suchen.

Alte Rechnungen wurden auch beglichen. Grünen-Spitzenkandidat Helmut Zachau griff den ehemaligen Stadtentwicklungssenator Ralf Füchs an, der extra seinen Schreibtisch in der Heinrich Böll Stiftung in Berlin für die Versammlung verlassen hatte. „Ralf war der inoffizielle Spitzenkandidat“, beschwerte sich Zachau. „Es wäre gut gewesen, wenn er sich zu Bremen bekannt hätte und die Landesmitgliederversammlung abgestimmt hätte, ob er wieder Senator werden soll.“

Die Verteidigungsrede kam prompt. „Außerordentlich unsinnig“ sei es, schoß der Abgeordnete Hermann Kuhn zurück, jetzt einen Mythos zu kreieren, wonach die Niederlage der Grünen an einzelnen Kandidaten gelegen haben könnte. Und Füchs legte nach: „Ich bin schon ein bißchen baff, daß meine virtuelle Präsenz im Wahlkampf jetzt als Grund für die Niederlage benutzt wird.“

Na gut, dann war eben niemand schuld. Auch die Spitze des Landesvorstandes, die Politologin Kathrin Kummerow und Hucky Heck, wurde umgehend entlastet. Eigentlich wollten die beiden ihre Ämter zur Verfügung stellen – weil „wir nicht mehr die Kraft haben, das zu organisieren, was nach der Wahlniederlage ... eingeleitet werden muß.“ Doch Kuhn und Fücks und dann die ganze Versammlung machten „bitte bitte“ und jetzt geht es doch noch bis September.

An der Backe haben die Grünen jetzt eine von Kummerow und Heck eingeforderte Diskussion, ob in Zukunft ein hauptamtlicher Parteivorstand eingesetzt werden solle, um die Arbeit zu professionalisieren. Der Landesvorstand wurde gebeten, bis zum Sommer eine Diskussionsgrundlage zu schaffen und die Kreisverbände um Stellungnahmen zu bitten. Im Herbst, wenn der Vorstand endgültig abtritt, soll dann die Debatte losgehen.

Der neue Bürgerschaftsabgeordnete Matthias Güldner diagnostizierte am Mittwoch abend treffend eine „Mischung aus Depression und Langeweile“ unter den Mitgliedern. Widersprochen wurde nicht. Güldner wählte dennoch den positiven Ausblick: Die Grünen seien der einzige Hinderungsgrund, der einem Zweiparteiensystem noch im Weg stünden. „Die Wählervereinigung bäriger Männer aus Bremen und Bremerhaven? Abrasiert! Die PDS? Aus. Vorbei!“ Jetzt gelte es nur noch, wieder zu der alten kämpferischen Mentalität zurückzufinden. cd

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