Hörhilfe
: Ekstase auf allen Kanälen

■  Helmut Kraussers „Schweine und Elefanten“ mit Soundtrack

Wie praktisch. Damit sich später niemand den Kopf zerbrechen muß, hat Helmut Krausser an seinen neuen Roman zwei Seiten „Zur Editionsgeschichte“ angehängt. „Schweine und Elefanten“ ist schon Ende der achtziger Jahre entstanden, aber nicht veröffentlicht worden. Statt dessen erschienen die Romane „Könige über dem Ozean“ und „Fette Welt“, die als Fortsetzung zu „Schweine und Elefanten“ gedacht waren. Jetzt ist die „bibliographische Lücke“ geschlossen, Gott sei Dank: „In den Jahren hatte ich viele schriftliche Anfragen zu beantworten, wo denn jener ominöse, durch Nichtexistenz beinahe legendäre erste Teil geblieben sei“, schreibt der Meister und möchte in dieser Sache nicht weiter belästigt werden: „Dieser Zweig der Korrespondenz ist hiermit beendet.“

„Schweine und Elefanten“ sind allerdings nicht einfach nur die previous unreleased writings eines Literaturstars. Helmut Krausser hat das Manuskript vollständig überarbeitet und daraus einen distanzierten Romanrückblick in die Münchner achtziger Jahre gemacht. Hagen Trinker, den man schon aus den vorgezogenen Fortsetzungen kennt, strauchelt durch einen Sommer, 22 Jahre alt, „zu jung, um wirklich verzweifelt zu sein“. Er säuft, hängt mit Obdachlosen ab, zieht in die Villa einer reich geschiedenen Enddreißigerin und lädt dann seine Freunde zu einer wilden Pool-Party ein. Ein paar Jahre vorher hätte man das vielleicht noch Punk nennen können, doch jetzt: „No Future? Nein, nur einfach keine Ahnung.“

Kein Punk, keine Ahnung, aber immerhin ein blasser Schimmer des Heiligen: Aschenbecher, Glas und Flasche werden in „Schweine und Elefanten“ zur „Trinität der letzten Dinge“, man gibt sich „nachtlang den Stiertrunk“, immer auf der Suche nach der „Ekstase, die im Leben das Wichtigste ist“. Heute, in den 90ern, würde man dieses religiöse Abfeiern des Lebens Pop nennen. Damals in München war Pop allerdings noch ganz konkret Musik, und alle wurstelten in sogenannten Bandprojekten herum. Im Roman hat auch Hagen eine Band. Sie heißt Genie & Handwerk, und es gab sie: Helmut Krausser war der Sänger.

Und weil Helmut Krausser ein gewissenhafter Philologe in eigener Sache ist – siehe „Editionsgeschichte“ –, hat er ein paar alte Livetapes als akustisches Supplement zu seinem Roman veröffentlicht. Die CD „Bootleg“ klingt nach Genie und Handwerk, nach Mode und Verzweiflung, halt nach den 80ern. Zu den Seiten 176 bis 178 des Romans läuft sie vollkommen synchron. Genie & Handwerk spielen im Jugendzentrum Immenstadt, und mit der CD ist man live dabei: vom „Intro“, „zu dem noch kein obligater Text existierte“ und zu dem Helmut Krausser dann auch ganz merkwürdig herumkrakeelt, über das „legendäre Winged Heards“ und eine extralangsame Coverversion des Gun-Club-Klassikers „Sex Beat“ bis zum „unsterblichen Throwawaysong Hey You“. Die Gitarre schrammelt, der Bass stolpert, eine Geige weint, und Krausser würde gerne wie Nick Cave singen: Fast möchte man glauben, daß Genie und Handwerk damals wirklich kurz davor war, den Lo-Fi zu erfinden, wie es in „Schweine und Elefanten“ behauptet wird.

Zumindest hat Avantgardist Krausser hiermit den Soundtrack zum Buch erfunden. Und er arbeitet weiter daran, daß man ihn nicht nur lesen, sondern auch hören kann. Eine zweite Kompilation mit späteren Werken des Meisters ist bereits angekündigt. Sie heißt „Kammermusik“: „Lieder, Cello- und Klavierstükke, Bläserquartette sowie Musik für Steeldrums, Marimbaphon und Posaune“. Das hören wir uns natürlich auch noch an – und warten auf den Roman zur CD. Kolja Mensing

Helmut Krausser: „Schweine und Elefanten“. Rowohlt Paperback, Reinbek bei Hamburg 1999, 235 Seiten, 22 DM

Genie & Handwerk: „Bootleg“. CD. Belleville, München 1999, 30 DM

Helmut Krausser: „Kammermusik“. CD. Belleville, München 1999, 30 DM