Vetter nimmt Tochter

■  MDR-TV-Chef Henning Röhl will den ARD-Sender in einen Konzern verwandeln

Nächstes Jahr will es der MDR allen zeigen, daß er hoch hinaus will. 23 Stockwerke soll die neue Fernsehzentrale des Senders haben, über 1.000 Menschen sollen in dem neuen TV-Palast in Leipzig arbeiten. Auch MDR-Fernsehchef Henning Röhl dürfte sich schon ein schönes Plätzchen ganz oben ausgesucht haben.

Der Mann erfüllt nicht nur sich selbst Träume. Denn auch Medien- und Standortpolitiker aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben ihre Wünsche in dem öffentlich-rechtlichen Sender. Der MDR soll die Region Leipzig/Halle emporführen ins Licht der modernen Kommunikationswelt. „Medienarbeitsplätze bedeuten Zukunft“, der MDR sei dafür „der Motor für die Region“, bekräftigt Sachsens Regierungssprecher und Medienbeauftragter Michael Sagurna (CDU).

Das Patronat für diese Vision hat beim MDR Henning Röhl übernommen. Das ausgewiesen parteifreundliche CDU-Mitglied nutzt die hehren Wünsche der Politik weidlich: Konsequent, wie es noch kein anderer ARD-Sender wagte, will er den MDR in einen öffentlich-rechtlichen Konzern verwandeln, der über ein Geflecht von privaten Tochterfirmen auf dem freien Medienmarkt agiert – und dabei im Sinne der Politiker die privaten Geschäfte ankurbeln soll.

Die Unternehmenspolitik in der Grauzone zwischen öffentlich-rechtlicher Gebührenfinanzierung und privater Schattenwirtschaft wird mit schönen Begriffen bemäntelt: Outsourcing oder Ausgründung heißt die Strategie, mit der der MDR Personal und Geld einsparen und die Leistungen und das Know-how des öffentlich-rechtlichen MDR am Markt in bare Münze verwandeln will. Es dient noch einem weiteren Ziel, wenn Röhl und Reiter Anteile von MDR-Töchtern an private Firmen verkaufen oder Beteiligungsgesellschaften mit anderen Medienunternehmen gründen: Der MDR schließt „strategische Partnerschaften“, wie man es auch in der MDR-Zentrale gern nennt.

Partner von Röhl und Reiter wurde auf diese Weise z.B. ARD-Erzkonkurrent Leo Kirch. Auch lotet der MDR gerade eine Zusammenarbeit mit dem Touristikkonzern TUI aus. Der würde gern einen reklamelastigen Reisekanal über eine MDR-Tochterfirma produzieren lassen. Per Anzeige sucht der MDR bereits „Journalisten mit Kontakten zur Reisebranche“. Ob die Partnerbeziehungen auch immer im öffentlichen Interesse sind, spielt keine Rolle.

Jüngstes Beispiel ist der Verkauf von 51 Prozent der MDR-Filmfirma Drefa an die Münchner Kinowelt AG. Für die Produktionsfirma mit rund 80 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 35 Millionen Mark haben Henning Röhl und der MDR 3,5 Millionen kassiert. Der Deal entspreche der MDR-Linie, „über zusätzliches Know-how und gesteigerte Finanzkraft die Wettbewerbsfähigkeit“ des MDR zu erhöhen, übt sich Röhl schon mal in Börsensprech. Die börsennotierte Kinowelt hält Rechte an über 5.600 Filmen und erwägt derzeit den Einstieg ins Pay-TV.

Erst nach dem Deal stellte sich heraus, daß der Geschäftsführer und Hauptaktionär der Kinowelt, Michael Kölmel, ein Cousin von Hennig Röhl ist. Kein Problem, betont der MDR. Die guten Beziehungen des Fernsehdirektors seien nur nützlich. Vorwürfe wegen Vetternwirtschaft weist MDR-Sprecherin Susan Knoll bestimmt zurück: „Die Seriosität der Geschäfte wurde immer wieder gelobt.“

Mitglieder der Kontrollgremien des Senders sehen das mittlerweile etwas anders. Der MDR gehe auf einem schmalen Grad, meint Verwaltungsrat Jürgen Weißbach. „Und auf der einen Seite geht es steil bergab.“ Immerhin handele es sich um Gebührengelder, die an ein börsennotiertes Unternehmen weitergereicht werden. Der Gewerkschafter Weißbach will deshalb auf der heute stattfindenden Verwaltungsratssitzung eine Aussprache zu dem Filmdeal verlangen.

Eigentlich müßte der Verwaltungsrat dem bereits vollzogenen Verkauf der Drefa heute nochmals endgültig zustimmen. Denn bisher gibt es nur einen vorläufigen Verkaufsbeschluß vom März. In der Regel aber segnen die konservativen Gremienmehrheiten beim MDR alles ab, was Röhl und Reiter unternehmen. Uwe Höhn, SPD-Landesgeschäftsführer in Thüringen und ebenfalls Verwaltungsratsmitglied, ist diese Situation klar. Er wirft Röhl unfaires Verhalten vor.

Niemandem im Gremium sei die Verwandtschaft zwischen Röhl und Kölmel bekannt gewesen: „Der Verkauf der Drefa wäre wahrscheinlich nicht passiert, hätten wir das gewußt.“ Er fordert deshalb, daß die Rechnungshöfe den MDR besser und gründlicher prüfen sollen.

Bisher machen es die Gesetze möglich, daß der MDR die Prüfer nicht einmal in die Geschäftsberichte seiner Töchter schauen lassen muß. Auch nicht bei der Drefa. Die Standortpolitiker in Sachsen und Sachsen-Anhalt haben schon abgewunken. Der Sachse Sagurna nimmt den MDR genauso in Schutz wie die Regierenden in Magdeburg. Schließlich habe die Kinowelt ein Digitalisierungszentrum in Halle versprochen und will weitere 6 Millionen Mark im MDR-Sendegebiet investieren.

Die Sache hat noch einen weiteren Haken: Der MDR belebt mit seinen Tochterfirmen den mitteldeutschen Medienmarkt nicht unbedingt – er könnte ihn auch verhindern. Denn angefangen bei der TV-Produktion über Internetkonzeptionen bis zur Bereitstellung von Technik und der Organisation von Events – bei den MDR-Töchtern ist inzwischen alles zu haben, was sonst Privatfirmen machen. In Leipzig gibt es erste Anzeichen, daß kleinere private Medienunternehmen immer offensichtlicher vom Goodwill des MDR abhängen. So legt MDR-Fernsehdirektor allen Leipziger Produktionsfirmen nahe, doch bitte in die neu erbaute Media-City 2000 direkt gegenüber der MDR-Fernsehzentrale einzuziehen. Wer diesen Schritt tue, könne mit Aufträgen rechnen. Die Media City wird von einer MDR-Immobilientochter vermarktet. Die Mieten seien überteuert, klagen die kleinen Produzenten.

MDR-Verwaltungsrat Weißbach will eine solche Politik nicht mehr mittragen. Es müsse genau geprüft werden, wie weit die Grundsätze öffentlich-rechtlicher Unternehmenspolitik gehen. Unterstützung durch die Standortpolitiker wird Weißbach nicht bekommen. Allein der Vizepräsident des Sächsischen Landesrechnungshofs, Udo Theobald, spricht es deutlich aus: „Der MDR ist ein Imperium außerhalb der öffentlich-rechtlichen Kappe.“ Christian Rhode