piwik no script img

„Sie haben 30 Minuten. Ende der Diskussion“

■ Der „Habicht“ und seine Truppe: Wie die Deutschen die Grenze zum Kosovo überschritten. Blumen und Küßchen von AlbanerInnen, Haß und Spott von abziehenden serbischen Soldaten

Morina/Berlin (AFP/taz) – Die deutschen Soldaten der Kosovo-Truppe (KFOR) haben am Sonntag jugoslawische Grenzpolizisten vom Übergang Morina zwischen Albanien und dem Kosovo vertrieben. Anschließend rückten sie gegen 13 Uhr als erste KFOR-Einheit von Albanien aus in die serbische Provinz ein. Bislang waren KFOR-Einheiten nur von Makedonien aus vorgedrungen. Die rund 800 deutschen Soldaten sollten noch gestern im deutschen Kosovo-Hauptquartier in Prizren ankommen. Dort wartet bereits ein Vorauskommando auf sie, das mit etwa 180 Mann bereits am Samstag im Gefolge der Briten in das Kosovo eingerückt war.

Mehrere hundert Flüchtlinge versuchten, neben dem offiziellen Grenzübergang noch vor den Deutschen in das Kosovo zu gelangen. Serbische Grenzer hielten sie zurück. Daraufhin schritten die Deutschen ein: „Wieviel Zeit brauchen Sie, um den Grenzübergang zu räumen?“, fragte der Kommandierende des deutschen Kontingents, General Helmut Harff, der per Hubschrauber von Prizren gekommen war. „Sechs Stunden“, antwortete ihm der Chef des jugoslawischen Postens, Oberst Fehir. „Sie haben 30 Minuten“, entgegnete ihm Harff. Auf die Proteste, es seien immerhin 70 Grenzer und sie hätten nur Lastwagen zum Transport, erwiderte Harff ungerührt: „Das ist alles. 30 Minuten. Inzwischen 28. Ende der Diskussion.“ Der deutsche General stellte klar, daß dies ein Befehl sei. Die Serben müßten zur Kenntnis nehmen, daß es gemäß dem Friedensabkommen keine Grenzpolizei mehr gebe.

In kleinen Gruppen von zehn Mann gingen die deutschen Soldaten dann gegen die bewaffneten Grenzpolizisten vor. Diese verließen den Posten schließlich quer über die umliegenden Felder durch ein Spalier aufgebrachter Flüchtlinge.

Fallschirmjägergeneral Harff, dieser Mann des klaren Worts, kommandierte bereits Truppen des deutschen Kontingents beim Somalia-Einsatz im Sommer 1993. Der Spiegel schildert den 60jährigen als einen, der „meist das Richtige tut, dies jedoch zuweilen mit dem Temperament eines Schnappmessers“. Er gelte als absolut zuverlässiger Erfüller des politischen Auftrags, der Undiszipliniertheit und Schwächen bei seinen Untergebenen unbarmherzig verfolge. 1997 war Harff , der „Habicht“, wie man ihn laut Spiegel nennt, Stabschef der multinationalen Division in Mostar. Seit drei Monaten hat er den Einsatz vorbereitet, den er jetzt leitet.

Der Voraustrupp nach Prizren aus Makedonien war schon freudig begrüßt worden. Mit einer Blume in der Hand sei zum Beispiel eine junge Albanerin auf einen Leopard-Kampfpanzer geklettert, habe den Bundeswehrsoldaten, dessen Kopf oben aus der Luke ragte, auf beide Wangen geküßt und ihm die Blume überreicht, berichtet ein Beobachter. Tausende Albaner standen jubelnd am Straßenrand und skandierten „Nato, Nato!“, als die ersten deutschen Soldaten der internationalen Friedenstruppe KFOR in der Nacht zum Sonntag in Prizren einfuhren.

Aber dem Konvoi begegneten auf seiner achtstündigen Fahrt auch Hunderte serbische Soldaten, weit mehr und weit schwerer bewaffnet als erwartet. Sie begrüßen die einrückenden Truppen mit Drohgebärden und Spottgesängen. Bei Urosevac nimmt der deutsche Konvoi Kontakt mit einem Verbindungsoffizier der jugoslawischen Armee auf: Weil die Strecke von dort in Richtung Prizren als besonders minengefährdet gilt, fahren serbische Soldaten dem deutschen Konvoi vorweg. Die Bundeswehrsoldaten sind auf diesem Teil der Route sichtlich nervös, sie hatten weniger Serben erwartet.

Auch um Prizren, wo das Hauptquartier der Bundeswehr entsteht, ist die Lage unsicher. Noch bis vor kurzem gab es hier Schußwechsel zwischen UÇK und serbischen Einheiten. Daß jetzt die deutsche Vorhut die letzten Schießereien beenden und Minenfelder aufklären soll, löst bei den Soldaten keine Begeisterung aus.

Die Bundeswehrsoldaten sind sichtlich nervös – sie hatten weniger Serben erwartet

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen