: Sozialpolitischer Kahlschlag
■ Vom Mütterzentrum bis zur Kindertagesstätte: Die große Koalition sägt an der kompletten sozialen Infrastruktur / Grüne sehen bereits den „Ruin“ voraus
Geschlossene Mütterzentren, Jugendclubs und Drogenberatungsstellen – dazu Kahlschlag in Kindergärten und Altentagesstätten: So sieht Bremens Zukunftsszenario aus. Die Politik der großen Koalition werde zur „Politik der kleinen Leute“, urteilte gestern knapp die grüne Sozialpolitikerin Karoline Linnert nach ersten Koalitions-Ergebnissen. Ihre Prognose: Rot-Schwarz „ruiniert Bremens lebendige und soziale Infrastruktur“.
Die Weichen dafür stellten SPD und CDU vergangene Woche in der Koalitionsrunde: Für die Sozialausgaben wurde einfach ein „Nullwachstum“ festgeklopft. Fachleute im Sozialressort hatten dagegen wegen stetig steigender Arbeitslosigkeit eine Steigerungsrate von mindestens drei Prozent gefordert. Doch damit nicht genug: Sämtliche Zuschüsse an Kirchen und freie Träger für Kindergärten, Altentagesstätten, an Mütterzentren und Frauenhäuser sollen um jährlich 2,1 Prozent gesenkt werden. Im Sozialressort spricht man schon von „Land unter“.
Denn immerhin kommt fast die Hälfte der rund 100 Zuschußmillionen der Bremer Kinderbetreuung zugute: Über 50 Millionen Mark fließen an Kirchen und freie Träger. „Problematisch“, heißt es dazu nüchtern im geschockten Sozialressort. Aber auch alle anderen bezuschußten Einrichtungen arbeiteten längst auf „total abgesenktem Niveau“. Die Kürzung von – hochgerechnet auf vier Jahre – fast zehn Prozent würde deshalb schlicht das Aus für mehrere Einrichtungen bedeuten.
Aber es könnte noch viel schlimmer kommen: Denn im Sozialressort hält man ein Nullwachstum bei den Sozialleistungen (Hilfe zum Lebensunterhalt) für unrealistisch. SPD-Landeschef Detlev Albers hatte dies mit Controlling-Berichten begründet, die für 1999 auf ein Nullwachstum hindeuten würden. Das seien lediglich Prognosen für das erste Vierteljahr, weist dies aber das Sozialressort zurück. Die Vergangenheit habe vielmehr bewiesen: Im Jahresverlauf steigen Arbeitslosen- und damit Sozialhilfeempfänger-Zahlen wieder.
Die Folgen: Wegen weiterhin hoher Ausgaben muß das Sozialressort dann eben noch mehr bei Zuschüssen sparen. Zwar hatten die Koalitionäre schon – im Falle doch höherer Sozialausgaben – über Notlösungen nachgedacht. Aber eine Variante, die noch nicht beraten wurde, gibt auch nicht viel Hoffnung: Das Ressort müßte sich in diesem Fall „nur“ mit zehn Prozent an Mehrausgaben beteiligen. Aber auch das würden in vier Jahren immer noch bis zu neun Millionen Mark bedeuten, die schlicht anderswo einzusparen seien.
Neben all dem Sparen soll das neue Sozialressort aber noch 1.000 BSHG-19-Stellen mehr bereitstellen, in neuen Wohngebieten Kindergärten schaffen sowie Jugendfreizeitheime und Begegnungsstätten für alte Menschen erhalten. Das vereinbarten die Koalitionäre auch in ihrem Verhandlungsmarathon am vergangenen Freitag. Mitarbeiter sehen darin die klassische Quadratur des Kreises: Bei Kahlschlag könne man schließlich nichts Neues pflanzen. kat
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