: Behlers Kontrakt
■ Mehr Freiheit verspricht der Staat den Unis durch Hochschulpakte. Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin behält den Daumen drauf
Düsseldorf (taz) – Gabriele Behler gehört zu den einflußreichsten Frauen in der Republik. Als nordrhein-westfälische Ministerin für Schulen, Hochschulen und Weiterbildung verfügt sie über einen Mega-Etat von 29 Milliarden Mark. Nun hat Frau Behler den Universitäten ihres Landes einen sogenannten Qualitätspakt angeboten: Sie lockt die höheren Lehranstalten mit einem 100 Millionen Mark schweren Sonderzuschuß – um sie anschließend zu grundlegenden Reformen zu zwingen.
Die Herrin über 32 Hochschulen versteht es, den Zwang listig auszuüben. Mit den reformunwilligen Einrichtungen schließt sie einen Kontrakt: Behler schenkt den Universitäten darin für fünf Jahre auch im finanziellen Bereich die Autonomie, die sie im Wissenschaftlichen besitzen. So lange haben die Unis Zeit, ihr Profil zu schärfen. Sie sollen selbst entscheiden, in welchen Fächern und Disziplinen sie künftig den wissenschaftlichen Nachwuchs des Landes heranbilden. „Die Hochschulen“, so betont die Ministerin, „machen ihre eigene Strukturplanung: Welche Fachbereiche wollen sie halten? Welches Profil wollen sie sich in der Region geben?“
Doch zur neuen Freiheit gehört es auch, „unter Umständen“ (Behler) ganze Fachbereiche zu schließen. Und da hält die Ministerin die Fäden weiter fest in der Hand. An der Universität in Dortmund müssen 166 Stellen wegfallen, haben ihre Beamten verfügt. Hundert Kilometer weiter in Bielefeld kassiert das Ministerium 78 Stellen ein. Insgesamt sollen die Hohen Schulen Nordrhein-Westfalens in den nächsten zehn Jahren 2.000 Stellen abgeben.
„Jede Hochschule“, wird Behler nicht müde zu betonen, „hat die Möglichkeit, diese Orientierungsgrößen in erheblichem Umfang zu beeinflussen.“ In den Massenunis des selbsternannten „Wissenslandes“ an Rhein und Ruhr ist man da ganz anderer Meinung. Der dienstälteste Rektor, Gert Kaiser von der Düsseldorfer Heine-Universität, spricht von „brutalen staatlichen Eingriffen“. Unter dem „beschönigenden Namen Qualitätspakt“, so der ansonsten diplomatische Kaiser bei Antritt seines 16. Rektoratsjahrs, komme ein simpler Streichungsplan daher.
Die Initiative Behlers ist aber weniger simpel, als viele Professoren von ihren Elfenbeintürmen herunter weismachen wollen. Die Hochschulverträge, die es in Berlin, Baden-Württemberg und Hamburg bereits gibt, nehmen die akademischen Einrichtungen des Landes von den pauschalen Kürzungen aus. Die Unis werden von der jahrhundertealten Kameralwirtschaft befreit und erhalten stabile Haushalte, über die sie selbst bestimmen. So können sie für fünf Jahre im voraus planen. „Das erhöht die Gestaltungsmöglichkeiten, weil die Hochschulen über mehr Stellen und Mittel frei verfügen können“, erklärt die Ministerin stolz. Eine solche Planungssicherheit ist viel wert, in Zeiten, in denen andere Ministerien Jahr um Jahr ihre Finanzetats zusammenstreichen.
Dennoch bleibt ein Rest Unentschiedenheit. Denn die Ministerin beharrt auf einem starken Stück ihrer Eingriffsrechte. Sie hat etwa, noch bevor alle Hochschulen dem Pakt überhaupt zugestimmt haben, die zu streichenden Stellen bereits verteilt. Und auch den freien Wettbewerb um die besten Innovationen wird es im kommenden Jahr nicht geben. 40 Millionen Mark aus dem Innovationsfonds für das Jahr 2000 hat das Ministerium bereits aufgeteilt – mit dem Hinweis, „die Ingenieur- und Naturwissenschaften zu stärken“. So „empfahl“ es Behler den Universitäten Ende März. Die selbstbestimmte Profilbildung – ein Trugbild.
Daran wird auch ein im April eingerichteter Expertenrat nicht viel ändern. Die Ministerin hat ihn berufen, um den Hochschulen bei ihrer Selbstfindung zu helfen. Zudem sollen die Experten – Professoren anderer Bundesländer sowie Industrielle und Mittelständler – zwischen den Ministerialen und den Unis vermitteln. In nur einem Jahr wird der Expertenrat die Hochschullandschaft Nordrhein-Westfalens neu vermessen haben. „Die Entwicklung eines Konzepts kann nicht zehn Jahre dauern“, erklärt der Leiter des Rats, Hans-Uwe Erichsen, der Präsident der Rektorenkonferenz der Europäischen Union.
Leise Kritik an dem Eilverfahren kann auch der angesehene Erichsen nicht verhehlen: „Der Expertenrat bewegt sich in politisch gesetzten Rahmenbedingungen.“ Und die sind klar. Die hochschulpolitische Reform Behlers besteht in der Abschaffung der Volluniversitäten: „Nicht alle Fächer müssen überall angeboten werden“, nennt das die Bildungsministerin freundlich.
Die Hochschulen sind indes unfreundlich. Der Senat der Uni Duisburg weigert sich, komplette Fachbereiche zu streichen. Und auch die ehrwürdige Universität Köln will das Konzept mit eigenen Prioritäten umsetzen. Frau Behlers Schützlinge rüsten sich zum Kampf. Isabelle Siemes
Zur neuen Freiheit gehört es auch, „unter Umständen“ (Behler) ganze Fachbereiche zu schließen.
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