: Grüne und Jäger siegen
■ Cohn-Bendit erzielt historischen Erfolg. Frankreichs zersplitterte Rechte verliert an Terrain. Desolates Ergebnis für Chiracs Gaullisten
Paris (taz) – Frankreich hatte schon immer eine Vorliebe für historische Figuren. Daniel Cohn-Bendit erhielt an der Spitze der Grünen-Liste 9,7 Prozent der Stimmen; bei der vorigen Europawahl 1994 hatten „Les Verts“ nicht einmal 3 Prozent geschafft. Die Zeitung France-Soir bildete auf ihrem Titel aber gestern nicht den grünen, sondern den roten Dany von anno 1968 ab – wie er auf dem legendären Foto der Maiunruhen den Flics ins Gesicht lacht.
Vor den Fernsehkameras dankte Cohn-Bendit artig der Wählerschaft und forderte mehr Mitspracherecht in der Linkskoalition von Premierminister Lionel Jospin. T-Shirt-Träger mit der Aufschrift „Dany Tour 99“ applaudierten begeistert: Cohn-Bendit verkörpert das neue Selbstbewußtsein einer Partei, die bisher an politisches Mauerblümchendasein gewohnt war. Die Verts sind erstmals zweitstärkste Linksformation hinter den Sozialisten geworden; sie verdrängen als junge Kraft die alteingesessenen Kommunisten, die mit 6,8 Prozent weiter Federn lassen mußten und links erst noch von den erstarkten Trotzkisten (5 Prozent) bedrängt werden.
Als erprobtes Enfant terrible setzte sich Cohn-Bendit am Wahlabend über die Subtilitäten der Pariser Politik hinweg und verlangte ein Rendezvous mit Jospin, der im Wahlkampf mehr Affinitäten zu KP-Chef Robert Hue als zum grünen Listenführer gezeigt hatte. Mit Forderungen nach Atomausstieg und Aufenthaltsgenehmigung für die „sans papiers“ brachte er besonders heikle Fragen auf.
Für die rot-grüne Regierung bildet Cohn-Bendit damit eher eine Hypothek. Deren Zusammenhalt wird durch den grünen Erfolg kaum gestärkt. Die Sozialisten schnitten mit 22 Prozent ehrenwert ab. Sie hätten gut daran getan, so ihr Generalsekretär François Hollande, sich dem sozialliberalen Manifest von Gerhard Schröder und Tony Blair nicht anzuschließen.
Auf der Rechten ging der Zersplitterungsprozeß weiter. Ihre wichtigste Formation, das gaullistische RPR von Staatspräsident Jacques Chirac, sackte im Verbund mit Democratie Liberale (DL) auf ein historisches Tief von 12,7 Prozent ab. Sie sieht sich sogar von ihren Dissidenten Charles Pasqua übertrumpft, der mit seinem Anti-EU-Kurs 13,1 Prozent errang. Die zentrumsliberale UDF kommt auf 9,3 Prozent. Der rechtsextreme Front National profitierte kaum von den Auflösungstendenzen in der bürgerlichen Rechten: Jean-Marie Le Pen kehrt mit 5,7 Prozent gerade noch ins Europaparlament zurück; sein abtrünniger Ziehsohn Bruno Megret luchste ihm 3,3 Prozent ab und verfehlt damit die anvisierte Fünfprozenthürde.
Eine Überraschung ist der Erfolg der Jägerpartei CNPT mit 6,8 Prozent. Sie hatte im Wahlkampf vor allem die Verts und Cohn-Bendit ins Visier genommen und erhielt – vor allem im ländlichen Südwesten – 1,2 Millionen Stimmen. Offenbar erhielt sie massiv Zuzug von enttäuschten Gaullisten. Allein dies zeigt die desolate Situation von Chiracs einst so stolzer Partei. Französische Kommentatoren sprechen von der Implosion einer Formation, die sich auf die Résistance und Frankreichs berühmtesten General beruft, heute aber in EU-Anhänger und -Gegner auseinanderzubrechen scheint.
Stratege Chirac steht damit fast ohne Partei da – ein Novum für einen französischen Staatschef. Der Gaullist wird damit bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen 2002 leben müssen. Paradoxerweise könnte er dann aus der Situation Kapital schlagen, falls es ihm gelingt, sich als der letzte gemeinsame Nenner des zerfledderten Bürgerblocks zu präsentierten. Das Wahlresultat darf auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Kräfteverhältnis der großen politischen Blöcke sich kaum geändert hat: Zusammen verfügen die Rechtsparteien (inklusive Front National) in Frankreich wie bisher über eine knappe Mehrheit; auch die EU-Befürworter haben vor den Gegnern weiterhin leicht die Nase vorn. Stefan Brändle
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