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„Willi wuselte überall rum“

■ Werder-Manager Willi Lemke, jetzt im Gespräch als neuer Senator, verstand sich mit SPD-Bürgermeister Henning Scherf schon immer glänzend / Ein menschelnder Rückblick

Das grün-weiße Gesicht am Sonntag war eine nicht zu übersehende Liebeserklärung. Aber warum um alles in der Welt will Henning Scherf den Werder-Manager Willi Lemke zum Senator „wofür auch immer“ machen? Die Antwort ist ganz schlicht und liegt seit einigen Monaten gedruckt vor: „Mit Henning Scherf verstand er sich glänzend“ – er, der Willi Lemke. Der Satz stammt aus einem Text über die alte politische Freundschaft der beiden. Damals, 1974, war Scherf Landesvorsitzender der SPD und Willi Lemke „Sportplaner“ an der Universität. Sekretär im Parteibüro war Uwe Martin, der gerade zum Ortsamtsleiter in Huchting vorgeschlagen worden ist. Und der Uwe Martin gehörte der falschen Fraktion an, erinnert sich der heutige Verwaltungsrichter Ingo Kramer und Autor des Textes. Martin hatte zwar das Vertrauen derer, für die er arbeitete, aber er gehörte nicht zum SPD-Parteiflügel von Scherf – also war er schnell weg. Und Lemke, der sich mit Scherf „glänzend“ verstand, war da.

Was war das für ein Henning Scherf, damals? Ingo Kramer erinnerte sich für das Buch „anno dunnemals – 1968 in Bremen“: „Bei konkreten politisch-programmatischen Kontroversen in der SPD hielt er sich häufig auffallend zurück. Dafür verstand er es meisterhaft, in seinen Beiträgen oft dermaßen unverbindlich zu bleiben, daß seine jeweilige Zuhörerschaft den Eindruck gewinnen konnte, er stimme mit ihren Ansichten überein. So wurde er denn von vielen als großer Integrator angesehen, der auch gegensätzliche Positionen irgendwie vereinbar erscheinen ließ. Im persönlichen Umgang konnte er überbordend freundlich sein. Kein weibliches Parteimitglied war vor seinen Umarmungen letztlich sicher“, schreibt Kramer über die 70er Jahre. „Auf der anderen Seite konnte Henning Scherf aber auch eiskalt seine Ziele verfolgen.“ Und: „Er suchte nicht unbedingt den Konflikt in der Sache.“

Und Lemke? Der wollte damals mit Macht in die Politik. „Willi wuselte überall herum und knüpfte nach allen Seiten Verbindungen.“ Und dann wurde Kramer im Unterbezirksvorstand vertraulich darüber informiert, daß Lemke für den sowjetischen Geheimdienst tätig war und auch für den Verfassungsschutz, sozusagen als Doppelagent.

„Ich wollte meinen Ohren nicht trauen“, erinnert sich Kramer: „Daß ein Landesvorsitzender der SPD gleichwohl auf die Einstellung einer solchen Person als Parteisekretär in voller Kenntnis von dessen Spionagetätigkeit hinwirkte, konnte ich nicht fassen.“ Lemke hat, als die Sache vor zwei Jahren öffentlich bekannt wurde, erklärt, es sei alles sehr harmlos gewesen und er habe nichts ausgeplaudert. Aber bis heute sind die Archive nicht zugänglich, in denen die Spitzel-Berichte aufbewahrt werden.

„Ich war jedenfalls vor diesem Hintergrund vollständig gegen eine politische Karriere des Willi Lemke eingestellt“, gesteht Kramer. Sein Problem: Er durfte nicht offen erklären, warum, da der Sachverhalt unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit mitgeteilt worden war. Daß Lemke Parteisekretär wurde, konnte Kramer nicht verhindern. In der Mandatskommission wirkte er später daraufhin, daß Lemke nicht auch noch auf die Bürgerschaftsliste der SPD kam. 1981 wurde Lemke dann Manager bei Werder Bremen und schied aus der aktiven Politik aus.

„Dieses Erlebnis und andere Ereignisse führten bei mir allmählich zum Überdruß an politischer Arbeit in der bisherigen Form“, schreibt Kramer abschließend. Während sich Henning Scherf immer noch gern an den treuen Willi Lemke erinnert. K.W.

Der Aufsatz von Ingo Kramer ist erschienen in: „anno dunnemals – 1986 in Bremen“, WMIT-Verlag, Bremen 1998

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