: Schutzschild gegen freie Lehre
Die Polizeiausbildung steht am Scheideweg. Durch die zweigeteilte Laufbahn verliert die Polizei ihren Einfluß auf die Schulung und fordert nun eine eigene Fachhochschule ■ Von Plutonia Plarre
Auf dem Übungsplatz der Landespolizeischule (LPS) in Ruhleben steht Einsatztraining für Demonstrationen auf dem Programm. 20 angehende Polizisten in voller Kampfmontur und heruntergelassenem Visier werden zwei Stunden lang über den Platz gescheucht. In praller Mittagssonne versteht sich, „damit sie später wissen, wie das ist, wenn sie mal das Kommando geben“, sagt ein Ausbilder. „Links rum, Marsch!“, brüllt ein anderer.
Nach dem „Kettenbilden“ ist die „gestaffelte Abwehr“ dran. Die großen Plastikschutzschilde an den Körper gepreßt, knien sich sechs Schüler hin, die zweite Reihe hockt und die dritte steht. Dann prasseln unzählige grüne Tennisbälle auf die Menschenmauer ein. Die Ausbilder werfen, so hart sie können. „Eigentlich müßten wir Steine nehmen, damit sie eine Ahnung davon bekommen, wie sich das anfühlt“, bedauert ein Ausbilder.
Die Polizeiausbildung steht am Scheideweg. Dabei geht es aber um weitaus mehr, als um die Frage, ob Steine oder Tennisbälle das bessere Trainingsmittel für die Straßenkampftauglichkeit von Polizisten sind. Auf dem Prüfstand sind die Lehrinhalte eines Berufsstandes, der sich Haupstadtpolizei nennt.
Wie berichtet hatte der Chef der Schutzpolizei, Gernot Piestert, Mitte Mai auf einer Gewerkschaftstagung über das „erschrekkende Bildungsniveau“ und die mangelende soziale Kompetenz des Polizeinachwuchses geklagt und war auch mit dem Führungspersonal hart ins Gericht gegangen. Aber nicht erst seit Piesterts Rede wird hinter den Kulissen heftig über die Ausbildung der Polizei diskutiert.
Die Einführung der zweigeteilten Laufbahn, durch die der mittlere Polizeidienst mittelfristig wegfällt, wirft das bisherige Bildungssystem vollkommen über den Haufen. Die Landespolizeischule (LPS) verliert ihre Bedeutung, weil die Polizeianwärter in Zukunft alle am Fachbereich 3 (Polizeivollzugsdienst) an der Fachhochschule für Verwaltungs- und Rechtspflege (FHVR) studieren werden. Zum Vergleich: 1993 hatte die LPS noch 2.400 Schüler, der Fachbereich 3 der FHVR dagegen nur 568. 1999 hat sich das Verhältnis mit 345 Schülern an der LPS und 1.219 am Fachbereich 3 genau umgekehrt. Dadurch, daß das Fachhochschulstudium in den kommenden Jahren zur Regel wird, verliert die Polizei maßgeblich an Einfluß auf die Schulung ihres Nachwuchses. Übrig bleibt für die LPS nur die Fort- und Weiterbildung.
Aber die Rettungsboote werden bereits zu Wasser gelassen: In der Schublade der Senatsverwaltung für Inneres liegt ein von der Polizeiführung gebilligter Plan, der die Zusammenlegung des Fachbereichs 3 der FHVR mit der LPS zu einer polizeieigenen Fachhochschule vorsieht. Die Dozenten und der Dekan des Fachbereich 3 der FHVR laufen gegen das Vorhaben Sturm. Denn mit der Unabhängigkeit der Studieninhalte wäre es in einer polizeiinternen Fachhochschule vorbei.
Die FHVR ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, bei der die Innenverwaltung lediglich die Rechts- und Fachaufsicht durchführt. Den Plan einer eigenen Polizei-Fachhochschule verfolgt die CDU schon seit den 80er Jahren. Vergleichbare Einrichtungen gibt es bislang nur in Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
Am kommenden Montag wird sich der parlamentarische Innenausschuß mit dem Thema Ausbildung beschäftigen. Als Experten geladen sind der Dekan des Fachbereichs 3, Hans-Gerd Jaschke, und der Leiter der LPS, Jürgen Simon. In dem bei der Innenverwaltung liegenden Entwurf hat Simon ausgeführt, warum die Polizeiführung für die Gründung einer polizeiinterne Fachhochschule ist. „Die Masse der Dozenten, die an der FHVR tätig werden, sind Lehrbeauftragte, von denen nur 40 Prozent aus dem Bereich der Polizei kommen. Ohne die fachliche Kompetenz externer Dozenten und Akademiker anzweifeln zu wollen, stellt sich immerhin die Frage, ob dieser Personenkreis überhaupt in der Lage sein kann, den Studentinnen und Studenten des Fachbereichs 3 an der FHVR im Rahmen der Ausbildung Hilfestellung und Vorbereitung für die berufliche Praxis als Polizeibeamter geben zu können“, schreibt Simon.
Die Dozenten des Fachbereichs 3 der FHVR schießen hart zurück. In einer Presseerklärung von Anfang Juni weisen sie darauf hin, daß „die von konservativen Kräften schon seit längerem“ betriebene Herauslösung des Fachbereichs 3 die Freiheit von Forschung und Lehre gefährden und einen Rückfall in obrigkeitsstaatliche Strukturen bedeuten würde: „Die Polizei in einer demokratischen Gesellschaft muß eingebettet bleiben in demokratische Strukturen. Sie darf sich nicht abschotten gegen gesellschaftliche Durchlüftungen“, heißt es in der Erklärung. „Kamaraderie, Drill, Korpsgeist, blinder Gehorsam und Elitebewußtsein können keine Grundlage sein für eine Hauptstadtpolizei, die sich drängenden gesellschaftlichen Problemen wird stellen müssen.“
Daß Drill und Gehorsam die Polizeiausbildung bestimmen, will der Leiter des Lehramts der LPS, Eckart Wietstruk, nicht auf seiner Behörde sitzen lassen. „Wir wären froh, wenn wir den Geruch der Kadettenanstalt endlich loswürden. Davon sind wir schon seit Jahrzehnten entfernt.“ Diziplin auf Kommando werde nur noch beim Training für Demonstrationen, der Handhabung der Waffen und beim Kranzniederlegen an Gedenkstätten verlangt.
„Wir schmoren nicht im eigenen Saft, wir haben die vielfältigsten Angebote für die theoretische und praktische Ausbildung“, bekräftigt der Sachgebietsleiter der LPS, Jürgen Briese. „Aber nichts ist so gut, daß man es nicht besser machen könnte.“
Kritische Töne, was die Ausbildung in der LPS angeht, sucht man auch bei den Schülern und Ausbildern vergebens. Ein Teilnehmer des zweiten Lehrgangs erzählt, daß die Rede von Piestert in der Schule gar nicht gut angekommen sei. „Wir haben erwartet, daß er sich hinter uns stellt. Der Lehrstoff ist genau richtig, der Anteil von Theorie und Praxis stimmig.“ Ein Ausbilder ist der Überzeugung, daß Piestert mit seiner Kritik nicht die LPS, sondern die FHVR gemeint hat, als dieser geißelte, daß der Nachwuchs zu „Rechtskundemonstern“ ausgebildet würde.
Am Rand des Übungsplatzes ziehen sich die 20 angehenden Polizisten die weißen Helme von den verschwitzen Köpfen. Nach dem Drill ist endlich eine Pause angesagt.
Die Männer und Frauen sind Studenten des Fachbereichs 3 der FHVR, die in der LPS eine vierwöchige Grundausbildung machen. Alle sind von dem Praktikum total begeistert, während sie mit dem Studium an der FHVR durchweg unzufrieden sind. „In den vier Wochen hier haben wir mehr gelernt als im ganzen ersten Semester“, sagt einer. Die übrigen nicken zustimmend. In der FHVR würde man statt zum Polizisten zum Volljuristen ausgebildet, ist sich die Gruppe einig. „Die Dozenten erzählen uns immer, was die Polizei alles nicht darf, weil es rechtswidrig ist. Hier erfahren wir endlich, was wir dürfen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen