piwik no script img

Atomstromer zu frech – Konsens erst mal verhindert

■  Energierunde beim Kanzler zerstritten. Die Stromwirtschaft will die – üppige – Restlaufzeit ihrer AKWs in Betriebs- statt Kalenderjahren berechnet haben. Grüne beharren auf schnellerem Abschalten. Kein neuer Gesprächstermin

Hannover/Bonn (taz) – Kaum überbrückbare Gegensätze sind in der gestrigen Atomkonsensrunde im Bundeskanzleramt deutlich geworden. Die Vorstandsvorsitzenden der vier großen Energieversorger wollten sich in dem Gespräch mit dem Bundeskanzler und den Ministern für Wirtschaft und Umwelt nicht auf eine AKW-Höchstbetriebszeit von 35 Kalenderjahren und damit auf ein langsames Auslaufen der AKWs bis 2024 einlassen. Diese von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller in einem Konsenspapier vorgeschlagene Frist bezeichneten die Energieversorger als unakzeptabel. Auch die Grünen haben die 35 Jahre abgelehnt und eine Höchstbetriebsdauer von weniger als 30 Kalenderjahren verlangt.

In der Konsensrunde wandte sich vor allem RWE-Chef Dietmar Kuhnt gegen eine Berechnung der Laufzeit der Reaktoren nach Kalenderjahren. Wartungs- und Stillstandszeiten dürften nicht in die Berechnung der Reaktorlebensdauer einbezogen werden. Bei dem Reaktor Biblis A etwa bekomme er für eine Begrenzung der Betriebszeit auf 35 Kalenderjahre nicht die Zustimmung seiner Aufsichtsgremien, sagte Kuhnt. Beide Seiten gingen am Ende auseinander, ohne einen neuen Termin zu vereinbaren, wollen aber ihre Gespräche fortsetzen.

Bundeskanzler, Bundeswirtschaftsminister und Bundesumweltminister beharrten in der Runde auf einer in Kalenderjahren definierten Höchstlaufzeit für die AKWs. Der Bundeskanzler kündigte ein Ausstiegsgesetz für den Fall an, daß es zu keiner Eingung komme. Umstritten war in dem Gespräch auch die Wiederaufnahme der Atommülltransporte nach Frankreich.

Die Betreiber verlangten erneut noch für dieses Jahr weitere Transporte in die Wiederaufarbeitung. Eine entsprechende Zusage machte der Bundesumweltminister allerdings nicht. Die Forderung der Bundesregierung nach einer Arbeitsplatzgarantie für die Beschäftigten der Atomkraftwerke stieß wiederum auf der Betreiberseite auf keine Gegenliebe. In der Debatte über den vom Bundeswirtschaftsminister vorgeschlagenen Konsensvertrag wurde deutlich, daß die Betreiber in der Vertragsregelung vor allem einen Schutz vor strenger Kontrolle ihrer Kraftwerke durch die Aufsichtsbehörden der Länder sehen.

Nach den Gesprächen hieß es aus grünen Parteikreisen, man sehe die Lage als „sehr dramatisch“ an. Sowohl grüne Identität als auch Koalition stünden auf dem Spiel. Gestern abend beriet die Fraktion das weitere Vorgehen. Jürgen Voges, ses ‚/B‘Bericht Seite 5

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen