piwik no script img

Umtriebig und umsonst

■  Seit die Homo-Magazine in der Community kostenlos verteilt werden, ist in der Szene ein eigener kleiner Printmarkt entstanden. Jetzt wirbt ein Kölner Blatt erstmals um Aktionäre

Alles hatte 1991 mit 300 Mark und einem Computer, Marke Commodore 64, begonnen. Damals ratterte die „Zeitung für Schwule und Lesben“ im Ruhrgebiet aus einem Neunnadeldrucker, am 1. Oktober wird das kostenlos verteilte Blatt zur Aktiengesellschaft: „Queer gehört Dir“, wirbt die inzwischen bundesweit auflagenstärkste Homo-Zeitung um Aktionäre.

Der deutsche Durchschnittshomo kann sich mittlerweile allmonatlich von etwa 40 Zeitschriftentitel mit einer Gesamtauflage von einer halben Million Exemplaren informieren lassen: Was schreibt Miriam Müntefering, lesbische Tochter des Bundesverkehrsministers, in ihrem Jugendroman? Warum will Scharping keine schwulen Soldaten? Was ist vom neuesten Skinhead-Porno „Skin Flick“ zu halten? Dazu bieten die meist frei verteilten Magazine Informationen über Veranstaltungen im Verbreitungsgebiet und angrenzenden Großstädten.

Die Umorganisation des Fanzine zum Unternehmen Queer ist exemplarisch. Zur Jahreswende 1997/1998 hatte sich die Auflage des Szeneblattes, das damals noch „Rosa Zone“ hieß, auf etwas über 20.000 Exemplare gesteigert. Dann hielt es die Geschäftsleitung des Blattes wie ihre Verlagskollegen von WAZ und Gruner + Jahr: Sie schielte nach Osten.

Die westdeutsche Zeitung auf Wachstumskurs warf den altbakkenen Titel „Rosa Zone“ über Bord und fusionierte im Januar 1998 mit einem kleinen Leipziger Magazin. Von dem 1993 gegründeten Nachwendeprodukt blieb nur der trendy Namen Queer. Die Redaktion zog in die Homohauptstadt Köln und verdreifachte dort die Auflage bis Juni 1998 auf 60.000.

Mit dem Motto „Expandieren oder Untergehen“, beschreibt Geschäftsführer Micha Schulze den ständigen Kraftakt „am Rande der Liquidität“. Von Köln aus breitete sich Queer in ganz Deutschland aus. Heute macht die Zeitung (Auflage: 85.000 Exemplare) mit einem 40seitigen Mantelteil und sechs großen Regionalbeilagen den angestammten lokalen Homo-Organen Konkurrenz. Die Position in den Regionen soll mit dem Kapital aus der Aktiengesellschaft weiter gestärkt werden. Man will die Auflage auf 100.000 stemmen und natürlich die journalistische Qualität erhöhen: „Uns fehlt der unabhängige Bonn/Berlin-Korrespondent, und gute Auslandsreportagen sind Mangelware“, zählt Chefredakteur Christian Scheuß die Defizite auf. Nach einem in der taz ja durchaus bekannten Prinzip, soll es mit der Aktien-Aktion nicht nur um Geschäftserfolg und Professionalisierung, sondern auch um Leser-Blatt-Bindung gehen: „Queer ist ein Projekt aus und für die community, die Leserinnen und Leser sollen an ihrer Zeitung beteiligt werden.“ Zunächst sollen 1.000 Anteilscheine an der kleinen Aktiengesellschaft, die „noch nicht an die Börse gehen soll“, mit einem Nennwert von 50 Euro für je 300 Mark ausgegeben werden.

Den Aufwind im schwul-lesbischen Pressemarkt spüren auch die lokalen Blätter. Die ebenfalls kostenlose Berliner Siegessäule konnte die Auflage von 1996 bis heute mit 42.000 Exemplaren fast verdoppeln. Der Umfang kletterte von 48 auf 80 Seiten. „Die Szene ist explodiert. Und es gibt noch eine Menge Potential“, sagt Manuela Kay, Redaktionsleiterin der Siegessäule. Dabei verläßt man sich beim Enkelkind der alternativ-linken Schwulenbewegung nicht auf persönliche Meinungen. Eine Leserstrukturanalyse des Mannheimer Forschungsinstituts tele Research hat der Siegessäule rund 100.000, überwiegend „junge, schwule, schlaue“ Leser bescheinigt.

„Eine Entwicklung, die vor fünf bis zehn Jahren undenkbar war“, faßt Micha Schulze den Boom zusammen. Damals war mit dem Kauftitel Magnus gerade ein hoffnungsvolles Projekt der Schwulenbewegung gescheitert. „Zu einem Kaufmagazin gehört ein gut unterfütterter Werbemarkt, den gab's damals noch nicht“, analysiert Queer-Chefredaktuer Scheuß. Inzwischen würden die kostenlosen Hefte die Erwartungen der Homos so gut bedienen, daß der alte Traum von einem „schwulen Spiegel“ schwer zu etablieren sei. Zudem fehle das finanzielle Polster zur Vorfinanzierung bis eine Auflage erreicht ist, die für die Werbewirtschaft attraktiv sei.

Die tut sich ohnehin schwer mit der vielgepriesenen Zielgruppe. Daß ein Lebensmittelkonzern die Queer-Kasse durch Werbung für einen neuen Trend-Softdrink erfrischt, ist in Deutschland die Ausnahme. Bisher trägt allein der schwule Ökonomiesektor von „rosa Rente“ bis „pride Telecom“ die Homo-Medien.

„Egal welches Magazin man in den USA aufschlägt, man findet seitenweise Markenartikel“, weiß Manuela Kay von den US-Vorbildern. Dort können Gays aus einer Angebotspalette wählen, die von Zeitschriften für Aidskranke bis zum rosa Traum deutscher Homo-Verleger reicht: der „schwule US-Spiegel“ heißt Advocate. Dieter Bey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen