Gestern noch links, heute schon grau? – Eine Entgegnung: Die Grünen allein in der Krise?
■ Argumentieren statt verbal einprügeln: Die Grünen sind immer noch eine basisdemokratische, erfolgreiche und unverzichtbare Partei
Christoph Dowe und Franco Zotta schreiben sechs Spalten lang einen „bitterlichen Abgesang auf die Grünen“ – ich lese darin eher eine enttäuschte Zusammenfassung ihrer Tagebücher und fühle mich an die Ansprüche meiner Eltern erinnert: „Früher war alles besser!“ Es stimmt mich traurig, daß Dowe bei einem von Vorurteilen strotzenden Fazit landet, obwohl er in den letzten vier Jahren über 1.000 Pressemitteilungen und 60 öffentliche Veranstaltungen der Bürgerschaftsfraktion von den Grünen über sich „ergehen“ lassen mußte. So schindet die Journaille landesweit ihr Zeilengeld – es ist einfach, auf den vermeintlich am Boden liegenden Gegner weiter einzuprügeln.
Ja, früher war alles besser, denn früher war alles einfacher. „Ökologisch, basisdemokratisch, sozial, gewaltfrei“ – unter diesem Motto sind die Grünen vor zwanzig Jahren angetreten zum Marsch durch die Institutionen. Und dieser Marsch wurde ihnen leicht gemacht, denn dieses Motto las sich damals in allen Punkten als Protest gegen bestehende Instanzen. In dem Maße, wie die Grünen den Marsch durch die Instanzen vollzogen, geriet ihr Motto zum bundesdeutschen Allgemeingut. Erst im Zuge solcher Erfolge und der Erfahrung von Tschernobyl wurde ein Bundesumweltministerium gebildet. Und obgleich Umweltpolitik allenthalben verankert ist, wird im Vergleich den Grünen in Umfragen dabei immer noch die größte Kompetenz zugestanden.
Auch wenn die Grünen nach den ersten parlamentarischen Erfahrungen das Rotationsprinzip aufgegeben haben, ist ihre Grundstruktur basisdemokratisch. Zwar haben sie einen Bundesvorstand. Doch jeder Kreisverband ist in sich autark, kann sich eigene Satzungen geben, und deshalb ist noch jede Bundesdelegiertenkonferenz ein Risikofaktor für jedwede Mainstream-Politik gewesen. Und – nicht zu vergessen – (fast) alle Parteigremien sind offen zum Mitmachen für alle, auch wenn sie nicht Parteimitglieder sind.
Zum Sozialen: In den Umfragen steht in dem Bereich stets die SPD vorne, obwohl die Grünen die einzige Partei ist, die konsequent Minderheitenpolitik vertritt. Zur Gewaltfreiheit: Wer als grünen Grundsatz die Gewaltfreiheit einfordert, darf nicht die Geschichte der Grünen vergessen. Sie resultiert eben auch aus den Gruppierungen, die für den Freiheitskampf in El Salvador oder sonstwo Geld gespendet haben. Oft wird auch vergessen, welche Mühen es die Grünen gekostet hat, sich des Vorwurfs der RAF-Nähe zu erwehren und ihren Gewaltbegriff zu definieren. Gewaltfreiheit als Maxime ist nicht mit unbedingtem Pazifismus gleichzusetzen. Und da wirkt wieder der Spruch: „Früher war alles besser!“ – denn es war einfacher. Ich erinnere mich noch, daß ich mich geweigert habe, im Zuge des Bosnienkrieges für Marieluise Beck eine Schreibarbeit zu erledigen, weil der Inhalt „bellizistisch“ war. Mein unbedingter Pazifismus hat weder Opfer in Bosnien gemindert noch mein Gewissen befriedigt. Heute wird zu leicht vergessen, daß die Grünen sehr wohl gewaltfreie Alternativen für Konflikte parat haben. Leider waren sie dazu nicht im Ansatz in der Lage, sie auch umsetzen zu können, denn für den Kosovo-Konflikt war es zu spät. Wie auch Joschka Fischer sagt: „Am deprimierendsten war für mich der Tag, als mir klar wurde, daß wir es nicht schaffen würden, allein mit diplomatischen Mitteln die Kosovo-Krise zu lösen.“.
Der Marsch durch die Institutionen ist ans Ziel gelangt: Die Grünen sind in der Bundesregierung. Und – ich sage es offen – es war für mich ein tolles Gefühl. Vieles von dem, was ich die letzten zwanzig Jahre gedacht habe, sitzt jetzt da oben! Es war ein kurzer Rausch, denn niemand darf vergessen (auch Dowe/Zotta nicht), daß wir mit nur 6,7% in den Bundestag gekommen sind. Wir können froh sein, wenn wir auch nur 6,7% unseres Programms umsetzen können.
Dowe/Zotta unterstellen den Grünen ein Wahldebakel bei der Bürgerschaftswahl. Ich würde sagen, daß wir mit 9,2% wirklich zufrieden sein können im Vergleich zur Bundestagswahl, zur Hessen-Wahl (7,2%) und zur Europa-Wahl (6,4%). Wir sind in der Gesellschaft angekommen und zwar nicht als „sozialere“ FDP, sondern als originäre Grüne. Wer sich heute hinstellt und die Grundsätze von vor zwanzig Jahren pur einfordert, bekommt die Antwort von Brechts Herrn Keuner, der auf den Anwurf „Sie haben sich ja gar nicht verändert!“ erbleichte. Auch die Grünen haben ein Recht auf Veränderung, und sie haben bei diesem Prozeß die Grundsätze mitgenommen, nicht zurückgelassen. Wenn wir in der Gesellschaft nur einen Stellenwert von 6-9% haben, dann ist das kein Grund, auf uns herumzuhacken, sondern ein Grund, sich vor amerikanischen Verhältnissen zu fürchten.
In einer taz-Debatte vor ein paar Jahren hatte Ralf Fücks schon den Niedergang der parlamentarischen Demokratie mit dem Parteiensystem in der BRD prognostiziert. Seine Schlußfolgerung damals war aber falsch. Er sah zwar eine Bündelung der Parteien in der Mitte, doch schloß er die Grünen mit ein. Mittlerweile ist die FDP aus dem Geschäft, weil sie zu alt ist, die PDS kommt nicht rein, weil sie zu jung ist (und eine zu alte Vergangenheit hat), und die Grünen können sich noch als „Zwischenzeit“-Partei halten. Ob ein amerikanisches Zwei-Parteien-System für Deutschland tragbar wäre, müßte sich zum Beispiel die Bevölkerung von CSU-Bayern fragen. Daß selbst die Große Koalition von ihrer Übermacht in Bremen erschreckt ist und ein schlechtes demokratisches Gewissen hat, zeigt ihre Bereitschaft, den Grünen alle Minderheitenrechte zuzugestehen, die sonst erst ab 25 Abgeordneten verfassungsgemäß wären.
Noch ein Wort zur Jugend: Wenn man den WahlforscherInnen glauben will, haben junge WählerInnen mit Parteien gar nichts am Hut. Diese sind Institutionen von gestern, die nix bewirken können. Das trifft nicht nur die Grünen (womit sie nicht mal Unrecht haben), denn den Auswirkungen der globalen „Revolution des Kapitals“ können selbst demokratisch gewählte Regierungen nicht mehr entgegenwirken.
Wo sich Dowe/Zotta noch in doppelter Verneinung festlegen, daß die Grünen nicht unverzichtbar seien, stelle ich die Behauptung auf, daß auf die Grünen nicht verzichtet werden kann!
Thomas Kollande-Emigholz
Der Autor ist Mitarbeiter der Bürgerschaftsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen.
Foto: Laura Marina
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