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Start des Befreiungskampfes

■ Karl-Heinrich Ulrichs bekannte sich schon im letzten Jahrhundert zu seinem Schwulsein //

Mit der kommenden Jahrtausendwende jährt sich der Geburtstag eines Mannes zum 175. Mal, der zum Wegbereiter des homosexuellen Freiheitskampfes geworden ist. Gemeint ist der Jurist Karl Heinrich Ulrichs, der sich im vorigen Jahrhundert erstmalig selbst zu seiner Homosexualität bekannt und vom Gesetzgeber offensiv gesellschaftliche Anerkennung eingefordert hat. Ulrichs hat zudem ein gutes Stück schwuler und lesbischer Theoriegeschichte geschrieben.

Ulrichs kommt am 28. August 1825 in Aurich zur Welt. Er wächst dann auf in Burgdorf bei Hannover. Es folgen Abitur in Detmold und Studium der Rechtswissenschaft in Berlin und Göttingen. 1852 absolviert er das Amtsassessorexamen und bleibt, bis Dezember 1854, im Hannoverschen Justizdienst tätig. Um einem Disziplinarverfahren wegen seiner Homosexualität zuvorzukommen, scheidet er 'auf eigenen Wunsch' aus dem Staatsdienst aus. Nach Anstellung in Frankfurt am Main lebt er bis 1870 in Würzburg, danach in Stuttgart. 1880 emigriert er nach Italien, wo er die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens verbringt.

Wahrscheinlich ist Ulrichs durch Lebenserfahrung und Selbsterforschung zu der Erkenntnis gelangt, daß seine eigene sexuelle Orientierung angeboren sein müsse. Diese Hauptthese entwickelt er in mehreren Schriften unter dem Titel „Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe“ zu einer umfangreichen Theorie. Während er die ersten fünf Bücher zwischen 1863 und 1865 noch unter dem Pseudonym – ,Numa Numantius' publiziert, veröffentlicht er bis zum zwölften Band im Jahre 1879 unter seinem richtigen Namen. Dreh- und Angelpunkt seiner Theorie ist die heute etwas seltsam anmutende These, nach der ein schwuler Mann eine weibliche Seele in einem männlichen Körper besitze. Zudem entwickelt er eine eigene Terminologie, die auf die Natur der Individuen, nicht aber auf ihr Verhalten abzielt. Ulrichs bezeichnet die schwulen Männer zunächst als ,Uranier', später als ,Urninge'. Nicht ganz so einheitliche Bezeichnungen findet er für Lesben: ,Urningin', ,Uranierin', ,Urnin'.

Beispielhaft ist Ulrichs Kampf gegen das antihomosexulle Sonderstrafrecht. Nachdem Preußen das Königreich Hannover 1866 annektiert, spricht Ulrichs öffentlich gegen das neue Regime und seine homosexuellenfeindliche Gesetzgebung und wird zweimal verhaftet. 1867 entläßt man ihn aus der Haft. Aus Hannover ausgewiesen, reist er im Sommer 1867 nach München, um auf dem Deutschen Juristentag eine Resolution gegen den preußischen Antihomosexuellenparagraphen zu verlesen. Die Juristen schreien ihn nieder und hindern ihn daran, seine Rede zu beenden.

Im gleichen Jahr interveniert Ulrichs auch in Bremen. Hier ist der Theaterdirektor Friedrich Carl Feldtmann in einem aufsehenerregenden Prozeß angeklagt. Die Polizei hat über sein Verhältnis mit jungen Männern durch einen Erpressungsversuch und Denunziation erfahren. Ulrichs läßt vor Prozeßbeginn eine seiner Streit- und Aufklärungsschriften in Bremen verteilen. Im Dezember 1867 wird Feldtmann zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die übliche Zuchthausstrafe bleibt ihm erspart. Ulrichs erblickt in dem Bremer Urteil ein ,Leuchtturmslicht', da selbst der Staatsanwalt bedauert, eine Verurteilung Feldtmanns fordern zu müssen.

Die Entwicklung nahm leider einen anderen Lauf. Entgegen aller Hoffnung wird das strenge preußische Gesetz auf alle Teile Deutschlands ausgedehnt. Bereits 1868 beginnen unter preußischer Federführung die Beratungen zu einem Strafgesetz für den Norddeutschen Bund. Ulrichs richtet ab Herbst 1868 zahlreiche Petitionen an die zuständigen Politiker. Seine Eingaben stoßen auf taube Ohren.

Der unrühmliche Vorstoß Bremens in der Bundesratskommission führt dann sogar zu einer Strafverschärfung. 1869 stellt dort der Senator Ferdinand Donandt den Antrag, den Tatbestand auf alle Formen des mannmännlichen Geschlechtsverkehrs auszudehnen und auch die lesbische Sexualität zu bestrafen. Zudem solle die Strafe deutlich erhöht werden: generell Zuchthaus bis zu fünf Jahren. Man einigt sich schließlich auf eine Erhöhung des Strafrahmens: statt bis zu zwei Jahre drohen nun bis zu fünf Jahre Gefängnis. Diese Formulierung findet Eingang in das Deutsche Strafrecht von 1871, und zwar symbolträchtig unter der Hausnummer 175. Vor dem Hintergrund der damaligen Gesetzesverschärfung klingen die Petitionen von Ulrichs immer verzweifelter. Am 4. Mai 1870 wendet er sich ein letztes Mal an den Preußischen Justizminister: „Betrachten Eure Exzellenz mich als Wortführer von Tausenden Ihrer Mitmenschen, die auf's neue ohne genügenden Rechtsgrund zu Verbrechern gestempelt und gemartert werden sollen. Im Namen der Gerechtigkeit und im Namen der Menschlichkeit bitte ich um Gehör!“

Die Stadt München hat den Einsatz dieses Mannes bereits gewürdigt, indem sie einen Platz nach Karl Heinrich Ulrichs benannt hat. Die Bremer PolitikerInnen sind zu fragen, warum in Bremen zwar eine Donandtstraße an den entsprechenden Senator, hingegen noch kein Ort an den Juristen Karl Heinrich Ulrichs erinnert.

Jörg Hutter

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