: Alles tanzt nach Schröders Hupe
Die Altautoverordnung ist vorerst gescheitert, weil der deutsche Autokanzler in einer Nacht drei EU-Umweltminister zu seinen Handlangern machte ■ Von Daniela Weingärtner
Bonn (taz) – In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sich wieder ein paar neue Feinde gemacht. Ganz sicher gehören jetzt die Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard und die Umweltminister der meisten EU-Länder dazu. Zur Abstimmung stand im Umweltministerrat die EU-Altautorichtlinie, mit der Hersteller verpflichtet werden sollen, ihre Produkte vom letzten Halter kostenlos zurückzunehmen.
Weil alle darauf gefaßt waren, daß der deutsche Minister auf Weisung von Kanzler Schröder die Entscheidung – wie schon Ende März – ein weiteres Mal verschleppen würde, sollte gleich am Donnerstag morgen abgestimmt werden. Trittin wehrte sich und setzte die Altauto-Richtlinie an die zehnte Stelle der Tagesordnung.
Hintergrund: Bundeskanzler Schröder brauchte noch Zeit, um die nötige Sperrminorität zusammenzubekommen. Schon vor der Sitzung hatte er Tony Blair klarmachen können, wie sehr ihm sein Dutzfreund VW-Chef Piäch im Nacken sitzt. So schickte auch der englische Premier seinen Umweltminister mit einer Weisung nach Luxemburg. „Zähneknirschend, als reinen Höflichkeitsakt gegenüber den Deutschen“ hat der nach Beobachungen von Sitzungsteilnehmern die deutsche Haltung unterstützt, wonach die Richtlinie erneut überarbeitet und erst im Oktober unter finnischer Präsidentschaft verabschiedet werden soll.
Da die je 10 Stimmen von Deutschland und Großbritannien aber nicht ausreichten, um die Richtlinie zu kippen, suchte der Kanzler den ganzen Tag über verzweifelt nach einem Dritten im Bunde. Er versuchte es bei den Franzosen, die ja schließlich auch die Interessen mehrerer großer Autohersteller im Blick haben müssen. Die französische Umweltministerin Voynet aber winkte energisch ab. Sie soll klargemacht haben, daß sie es gegenüber ihren Wählern nicht vertreten könne, eine Richtlinie abzulehnen, die von Umweltschützern einhellig als Durchbruch begrüßt wird.
Schließlich erklärten sich die Spanier bereit, ihre 8 Stimmen in die Waagschale zu werfen, damit die Sperrminorität von mindestens 26 Stimmen zustande kommt. In Brüssel wird inzwischen lebhaft darüber spekuliert, wie diese unheilige Allianz zusammenkommen konnte. Ein erfahrender Diplomat vermutet: „Die Spanier haben so oft von Kohl Geld gekriegt. Massenhaft. Vermutlich ist ihnen nahegelegt worden, daß sie sich jetzt mal revanchieren sollen.“
Die Sitzungsteilnehmer in Luxemburg brachte diese unverholene Kungelei zu ganz undiplomatischen Reaktionen. Österreichs Umweltminister Martin Bartenstein sprach von „einem schlimmen Signal und einem schlimmen Präzedenzfall.“ Ein Diplomat räumte ein, daß solche „Krimis“ ja gelegentlich vorkämen, „aber das ist das Stärkste, was in der Art bislang geschehen ist“. Trittins Rücktritt forderte gar der Alt-Grüne Daniel Cohn-Bendit. Die EU-Umweltkommissarin Bjerregaard sagte: „Es wäre sehr bedauerlich, wenn uns die Autoindustrie diktieren wollte, was wir zu tun haben.“
Genau das aber ist geschehen. Am Dienstag hatten die Chefs der Autokonzerne im Kanzleramt noch einmal vorgerechnet, was es sie kosten würde, sollte die europäische Regelung wirklich kommen. Allein aus der Produktion des VW-Konzerns, dem sich Schröder aus seinen Zeiten als niedersächsischer Ministerpräsident verbunden fühlt, fahren derzeit 29 Millionen Blechkisten auf Europas Straßen herum. Rechnet man pro Fahrzeug Entsorgungskosten von etwa 150 Mark, dann muß der Konzern in den nächsten Jahren 4,3 Milliarden Mark bereitstellen, wenn die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt ist.
All diese Argumente aber lagen schon im März auf dem Tisch, als Trittin im Umweltministerrat nur gegen große Vorbehalte durchsetzen konnte, daß die Abstimmung noch einmal vertagt wird. Warum er die drei Monate bis zur nächsten Sitzung nicht genutzt hat, um mit den Autoherstellern einen Kompromiß auszuhandeln, der als neue Gesprächsgrundlage hätte dienen können, bleibt Beobachtern unerklärlich. „Klaus Töpfer wäre das niemals passiert“, war in Luxemburg aus mehreren Delegationen zu hören. Ob den Minister eine masochistische Lust am eigenen Untergang treibt oder ob Berater in seinem eigenen Ministerium ihn böswillig gegen die Wand fahren lassen – in ganz Europa werden jetzt beide Varianten dikutiert.
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