Portrait: Jäger nach der verlorenen Tat
■ Jiri Pelikan
Zum Schluß war Jiri Pelikan ein Fremder im eigenen Land. Der herrschenden öffentlichen Meinung in Tschechien gelten die Reformkommunisten des „Prager Frühling“ von 1968 heute nur als besondere Spezies des Totalitarismus. Jiri Pelikan hatte in der ersten Reihe derer gestanden, die in der Tschechoslowakei für einen Sozialismus „mit menschlichem Antlitz“ gekämpft hatten. Dennoch oder gerade deshalb verfiel er in den 90er Jahren dem allgemeinen Verdikt. Das hat ihn nicht angefochten. Schon schwer krank, pendelte er zwischen seiner römischen und seiner Prager Wohnung, gab die Zeitschrift Listy heraus und trotzte dem Zeitgeist. Zeit seines Lebens war er ein glänzender Organisator und ein Bonvivant gewesen, der, in sechs Sprachen heimisch, ein Projekt nach dem anderen auf die Beine stellte und dabei sein Publikum unnachahmlich unterhielt.
Pelikan trat 16jährig unter der deutschen Besatzung der KP bei, wurde ein Illegaler, einer der wenigen tschechischen Partisanen, studierte nach der Befreiung und stieg gleichzeitig – ein Proletarierkind! – die Leitern der Parteikarriere hoch. Er managte den Internationalen Studentenverband, wechselte dann ins Agitprop-Fach, um schließlich 1963 Medien-Chef zu werden. Einer der „Jäger nach der verlorenen Tat“, einer, der die Wunden der Stalin-Zeit zu heilen suchte. Mit Dubcek kam seine Stunde.
Der schickte ihn nach dem sowjetischen Einmarsch nach Rom, wo er, aus der Partei ausgeschlossen und ausgebürgert, zu einem der gefährlichsten Feinde des „Normalisierers“ Gustav Husák wurde. Er wäre gern für die italienischen Kommunisten ins Europaparlament gezogen, aber die KPI-Führung wollte keinen zusätzlichen Ärger mit Breschnew. So ging er für die Sozialisten nach Straßburg und tat dort Gutes für die tschechoslowakische demokratische Opposition.
Pelikan unterstützte die Entspannungspolitik, warnte aber davor, die Interessen der verfolgten Demokraten dem Ausgleich mit der Sowjetunion zu opfern. Er gehörte auch zu den wenigen europäischen Politikern, die die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Entspannungsprozesses erkannten. Zu seinen Freunden zählten deshalb nicht nur Politiker der westlichen Linken sondern auch die Basis-Aktivisten der blockübergreifenden Friedensbewegung. Sie alle haben sich die Tschechoslowakei nach dem Völkerfrühling anders erträumt, ein Traum, der auch nach dem Tod von Jiri Pelikan noch nicht zugrunde gegangen ist. Christian Semler
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