: Sex and Crime in Afrika
■ Voyeurismus statt Beratung und Aufklärung: Afrikanerinnen kritisieren den deutschen Umgang mit Genitalverstümmelung
Berlin (taz) – Die Plakate sind hart. Eine Rasierklinge, eine Stopfnadel, ein rostiges Küchenmesser: das Operationsbesteck beim Beschneiden junger Mädchen in vielen Gebieten Afrikas. Die Großplakate hängen überall, auf den Straßen, in der U-Bahn, in allen deutschen Großstädten. Der Text forderte auf, sich die Qualen junger Frauen bei der Beschneidung vorzustellen. Mit der Schocktherapie aufrütteln will Intact, eine Spendeninitiative für Aufklärungsarbeit in Afrika: „Ich glaube, daß die Motive über das hinausgehen, was ein normaler Mensch aushält,“ sagt die Initiatorin Christa Müller, „aber ein so schlimmes Thema muß adäquat dargestellt werden.“
6.000 Mädchen werden täglich beschnitten, sagt Christa Müller. Amnesty international spricht von insgesamt 135 Millionen Opfern weltweit. Bei der Prozedur, die meist ohne Betäubung durchgeführt wird, wird die Klitoris teilweise oder vollständig herausgeschnitten. Zum Teil wird der schmerzhafte Eingriff bereits kurz nach der Geburt vorgenommen, in den meisten Fällen im Alter zwischen vier und acht Jahren.
Die Medien springen an, „Genitalverstümmelung auch in Deutschland“ lauten die Schlagzeilen, ein ARD-Magazin hat einen Arzt ausfindig gemacht, der auch hier Beschneidungen vornimmt. Ein Prozeß in Paris gegen Beschneiderinnen und Mütter, die ihre Töchter beschneiden ließen, erregt Aufsehen.
Was Menschenrechtsorganisationen mit der Verve der Gerechten geißeln, macht afrikanischen Frauen zunehmend Sorgen: „Die Aktionen sind kontraproduktiv“, befürchtet Wangazi Greiner von „Maisha“, einem Selbsthilfeverein afrikanischer Frauen in Deutschland. „Die Frauen, die ihre Töchter haben beschneiden lassen, bekommen Angst. Sie gehen nicht mehr zum Arzt, und sie lassen ihre Töchter nicht mehr dorthin. Er könnte sie anzeigen – dann verlören sie ihr Aufenthaltsrecht.“
Beschneidung würde in Deutschland kriminalisiert, bevor überhaupt so etwas wie Aufklärung stattgefunden habe, sagt Greiner. In den Medien gehe es nur um die Straftat der Verstümmelung – daß die Beschneidung in vielen Ländern ein tief verwurzelter Bestandteil der Kultur sei, würde darüber völlig vernachlässigt. „Die zentrale Frage ist, wie man auf den Schnitt verzichten kann, ohne das kulturelle Erbe des jeweiligen Volkes zu stören“, sagt Greiner. „Aber statt dessen wird wie in kolonialen Zeiten mit Strafe gedroht.“
Afrikanische Frauen wenden sich ebenfalls gegen das blutige Ritual, aber in Deutschland, argumentiert Greiner, werde das Pferd von hinten aufgezäumt: „Es gibt keine Beratung für afrikanische Frauen, sie sind hier völlig isoliert. Dann wirkt so eine Kampagne wie eine Hexenjagd.“ Alte Frauen, die afrikanische Familien besuchten, würden verdächtigt, Beschneiderinnen zu sein, schreie ein Kind, würden Nachbarn argwöhnisch. „Das ist auch rassistisch“, sagt Greiner.
„Es war uns klar, daß die Plakate für Afrikanerinnen problematisch sind“, kommentiert Christa Müller von Intact, „aber unser Hauptziel war, hier Aufmerksamkeit zu erregen, dafür mußten wir schockieren.“
Problematischer als solche Kampagnen sei eher, was die Medien aus dem Thema machten, meint Gritt Richter von der Frauenrechtsorganisation „Terre des femmes“. In Informationsbroschüren verweise die Organisation zwar auf den kulturellen Hintergrund der Beschneidung, von vielen Medien würde dieser aber nicht berücksichtigt. „Die lenken das in Richtung Voyeurismus.“ Sex und Verbrechen im wilden Afrika – fertig ist das Klischee, mit dem schwarze Frauen nun in der U-Bahn sitzen. Heide Oestreich
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