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■ Die Initiative „Zivilcourage“ will mit Aktionen auf Gewalt in der Straßenbahn aufmerksam machen / Polizei fordert „Mut zum Einmischen“

Mit einem dreckigen Grinsen schmiegt sich der zehnjährige Timo an ein gleichaltriges Mädchen in der Straßenbahn. „Hey Süße, komm mal rüber hier!“ pöbelt er die Kleine an. Die Angesprochene erschrickt und blickt hilfesuchend um sich. „Was soll ich tun? Wieso hilft mir keiner?“ Die Fragen sind ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Doch sie hat Glück: Sofort eilt eine Mitfahrerin zur Stelle und empört sich: „Das gibt es doch gar nicht. Sogar Kinder werden schon angemacht.“ Eingeschüchtert sucht Timo das Weite.

Nur selten löst sich eine Situation wie diese so schnell in Wohlgefallen auf. Gut, daß sie gestern nur gestellt war: Alle Akteure waren Mitglieder einer Theatergruppe. Im Rahmen eines Projektes der Initiative „Zivilcourage“ enterten zwei Erwachsene und fünf Kinder die Straßenbahnlinie 3 von Gröpelingen nach Sebaldsbrück. Für einige Stunden inszenierten sie kleine Streitsituationen und verwickelten Fahrgäste in Gespräche.

„Was ist für Sie Zivilcourage?“ fragt Projekt-Mitarbeiterin Karin Oeljeklaus eine ältere Straßenbahnnutzerin. Die Frau, die eigentlich nur Einkaufen fahren will, blickt verstört auf den Boden. „Belästigen Sie mich bitte nicht“, entgegnet sie leise, ohne sich auf ein Gespräch einzulassen. Doch nicht bei allen Mitfahrern stoßen die Aktionisten auf so viel Ablehnung. „Man hört so oft, daß jemand angegriffen wird, ohne daß das Opfer Hilfe findet. Da ist es schon schön, wenn sich wenigstens einige für ihre Mitmenschen einsetzen“, findet ein älterer Herr.

Und genau das ist das Ziel der Schaupieler. Mit ihrer Aktion wollen sie erreichen, „daß mehr Leute hinschauen und sich einmischen, wenn in der Bahn etwas passiert“, wie der Theaterlehrer und Gruppenleiter Rüdiger Eckert erklärt. Um direkte Gewaltübergriffe ging es den Initiatoren des Projektes nicht. Vielmehr sollen Bus- und Bahn-Nutzer dafür sensibilisiert werden, kleinere Vergehen im Keim zu ersticken.

„Vorfälle, bei denen Waffen involviert sind, erleben wir zum Glück selten“, erläutert dazu der Sprecher der Bremer Straßenbahn AG (BSAG), Jürgen Lemmermann. „Öfter kommt es da schon vor, daß Fahrgäste angepöbelt oder belästigt werden.“ Da derlei Vergehen meist nicht öffentlich werden, könne man sie statistisch allerdings nicht erfassen. Umso wichtiger sei es daher, daß die Nutzer der Bahn miteinander kommunizieren.

Angela Feldhusen, die Initiatorin von „Zivilcourage“, will in Zukunft verstärkt Aktionen anleiern, die passive Beobachter in eine aktive Rolle locken. „Wir wollen die Leute zum Reden bringen“, erklärt sie. „Das Thema Zivilcourage soll zum Stadtgespräch werden.“ Das sie durch kleine Schauspielergruppen keine Weltrevolution auslösen kann, ist ihr durchaus bewußt. Es sei allerdings immerhin ein erster Schritt, sagt sie.

Auch Eckard Mordhorst, der Chef der Bremer Kripo, hofft bei den Nutzern der Straßenbahn auf mehr Mut zur Einmischung. „Wir nehmen die Ängste der Bürger wahr. Jetzt geht es darum, eine Bewußtseinsänderung herbeizuführen“, sinniert er.

Trotz allem engagiert die BSAG nach wie vor auch eine private Sicherheitsfirma in ihren Fahrzeugen. Eine kleine Gruppe ziviler Aufseher soll den Fahrgästen im Notfall zur Seite stehen und die BSAG vor Vandalismus schützen. „Der Einsatz ist aber keinesfalls flächendeckend“, gibt BSAG-Sprecher Lemmermann zu bedenken. Er befürchtet, daß uniformierte Sicherheitskräfte die Kunden eher einschüchtern würden.

Ganz unverhofft zeigte ein Fahrgast der Linie 3 gestern, wie schnell man zum Aufpasser werden kann: Im hinteren Teil des Wagens saß ein Junkie, der gedankenverloren mit seinem Klappmesser spielte. Der Fahrgast fühlte sich bedroht und alarmierte den Fahrer. Der hielt die Bahn an, um über Lautsprecher zu informieren: „Wenn das Messer nicht verschwindet, kommt ganz schnell die Polizei.“ Worauf das Messer verschwand.

Tobias Eberwein

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